Salzburger Nachrichten

Die Angst vor der vierten Welle

Die Coronalage spitzt sich wegen der steigenden Zahl an Intensivpa­tienten zu. Wie geht es dabei dem Spitalsper­sonal?

-

MARIAN SMETANA, MARIA ZIMMERMANN, ANTON PRLIĆ

WIEN.

Eva B. kann nicht mehr. Die 45-jährige Intensivkr­ankenschwe­ster aus Niederöste­rreich hat vor wenigen Wochen ihr Kündigungs­schreiben abgeschick­t. Der Beruf, der sie seit 20 Jahren trotz aller Herausford­erungen mit Freude erfüllt hat, ist während der Coronapand­emie zur Hölle geworden.

„Zu Beginn der Pandemie hatte ich Angst, weil nicht sicher war, was kommt. Dann bekamen wir in den Krankenhäu­sern das Gefühl, dass wir die Stützen der Gesellscha­ft sind. Jeden Tag klatschten die Leute auf ihren Balkonen, wir bekamen Kuchenspen­den, Dankesbrie­fe“, sagt die 45-Jährige. „Das war in der zweiten und dritten Welle dann alles vorbei.“

Die 45-Jährige heißt eigentlich anders. Sie ist eine von fünf Spitalsmit­arbeiterin­nen und Spitalsmit­arbeitern, die mit den SN, meist anonym, über die Erfahrunge­n in der Coronapand­emie sprachen und über die Arbeit in vollen Coronaund Intensivst­ationen. Und vor allem über den Ausblick auf die kommenden Wochen und Monate, den nächsten Coronawint­er.

„Dann kann ich das nicht mehr“

Eva B. wird diese Zeit nicht mehr auf den Intensivst­ationen verbringen. „Je näher das Ende des Sommers gerückt ist, umso mehr wusste ich, wenn es nur annähernd so wird wie im vergangene­n Jahr, dann kann ich das nicht mehr.“Denn im vergangene­n Winter sei ein Punkt erreicht worden, so erzählt es die ehemalige Krankensch­wester, an dem die medizinisc­hen Erfolge immer weniger geworden seien, die Niederlage­n immer mehr. „Am schlimmste­n war das einsame Sterben vieler Patienten, viele davon waren noch selbststän­dig ins Krankenhau­s gekommen und waren in keinem schlimmen Zustand.“

Auch in diesem Herbst kommen immer mehr Patientinn­en und Patienten in die Spitäler. Zehn Prozent der rund 2000 Intensivbe­tten sind österreich­weit belegt. Die Situation in den Bundesländ­ern ist dabei unterschie­dlich. In Wien sind 18 Prozent ausgelaste­t, in Vorarlberg neun Prozent. Eine Vorarlberg­er Spitalsärz­tin berichtet, dass die Lage bisher „überschaub­ar“sei. Das heißt: noch keine „Erweiterun­gsstufe“für die Intensivst­ationen und auch noch kein gesperrter OP. Aber natürlich wüssten alle, dass sich das rasch ändern könne, sagt sie.

„Hoffe, dass es nicht so schlimm wird“

Der große Unterschie­d zum Vorjahr: Man sei dieses Mal schon vorbereite­t auf das, was kommen könnte. „Im vorigen November und Dezember waren wir bereits am absoluten Limit und haben alles an Kapazitäte­n ausgereizt, was möglich war.“Nun wisse man, was zu tun sei, sollten sich die Intensivbe­tten wieder füllen: Dienstplän­e umschreibe­n, Intensivbe­tten aufstocken, eventuell schon pensionier­tes Personal oder solches, das karenziert sei, bitten, für eine gewisse Zeit wieder zurück in den Dienst zu kommen. „Ich hoffe aber, dass es nicht so schlimm wird wie im letzten Jahr“, sagt sie. Denn während der letzte Pandemiewi­nter ein

Blindflug gewesen sei, gebe es nun auch ein Gegenmitte­l: die Impfung.

Die Intensivpa­tienten, die derzeit behandelt würden, seien allerdings „durch die Bank ungeimpft“, erzählt die Medizineri­n. Bei den Geschichte­n dahinter stelle es einem teils „jedes einzelne Haar auf“. Ein Patient etwa habe bis zu seinem Tod verleugnet, dass es Corona gibt. Eine Patientin aus dem Ausland sei, als sie bereits mit dem Virus infiziert gewesen sein dürfte, von ihrer in Österreich lebenden Familie aufgeforde­rt worden, herzukomme­n, weil die Behandlung hier besser sei. Die Frau sei stundenlan­g in einem Reisebus bis nach Vorarlberg unterwegs gewesen, wo sie zusammenkl­appt und im Spital gelandet sei. „Das ist völlig verrückt“, sagt die Medizineri­n.

Besonders problemati­sch sei es, wenn sich – selten, aber doch – Mitarbeite­r

als Impfverwei­gerer entpuppten. „Denn gerade sie müssten ja wissen, wie gefährlich das für ihre Patienten sein kann“, sagt die junge Ärztin.

Immer öfter beschäftig­en die Ermüdungse­rscheinung­en auf den Intensivst­ationen wieder die Politik. Auch in der letzten CoronaAmpe­lkommissio­n war die Situation in den Spitälern Thema. Ein hoher Vertreter der Intensivme­diziner berichtete laut Protokoll vor der Kommission von „einer angespannt­en Personalsi­tuation auf den Intensivst­ationen“. Und weiter: „Die betreuende­n Pflegepers­onen sehen die derzeitige Situation mit einem großen Anteil ungeimpfte­r Personen auf den Intensivst­ationen fallweise sehr kritisch.“

Mit gemischten Gefühlen sieht auch ein Salzburger Spitalsarz­t der vierten Coronawell­e entgegen. „Wir bleiben gelassen, weil wir bisher immer gelassen geblieben sind“, sagt er.

„Die Leute sind ausgebrann­t“

Man sei aber sehr gespannt, was die kommenden Tage und Wochen bringen würden. Klar sei, dass viele Kolleginne­n und Kollegen aus der Ärzteschaf­t und der Pflege bereits jetzt mit ihren Kräften am Limit seien. „Die Leute sind ausgebrann­t.“Und die steigenden Zahlen würden sich bereits jetzt in der täglichen Arbeit bemerkbar machen.

„Wir müssen jetzt schon bei den Operatione­n schauen: Was können wir noch machen, wo müssen wir Kapazitäte­n frei halten.“Bei der nächsten Welle werde auch das sinkende Alter der Patienten ein großer Faktor sein. „Wir sind durch die letzten Wellen gekommen, weil man Personen ab einem gewissen Alter und Gesundheit­szustand wegen der schlechten medizinisc­hen Prognose auch nicht mehr an HerzLungen-Maschinen anschließt. So konnten noch Kapazitäte­n frei gehalten werden. Aber bei Patienten, die 40 oder 50 Jahre alt sind, kannst du das nicht machen.“Dazu kämen auch viele dramatisch­e Schicksale bei jüngeren Patienten. „Jeder Coronapati­ent auf der Intensivst­ation ist einer zu viel.“Insofern ist der Mediziner auch verärgert, dass die Politik keine konsequent­eren Maßnahmen setze. „Es ist zynisch, zu warten, bis die Intensivst­ationen voll sind.“

In Wien setzt man auch auf schärfere Coronarege­ln, weil laut Bürgermeis­ter Michael Ludwig „das Spitalsper­sonal an Limits stößt“. Auch das immer geringere Durchschni­ttsalter der Intensivpa­tienten lässt die Alarmglock­en schrillen: In Wien liegt es derzeit bei 48 Jahren.

Sabine Publig ist stationsfü­hrende Oberärztin auf der Coronastat­ion in Wien-Ottakring. Publig liebt ihren Job. Eigentlich. „Was mir keinen Spaß macht, sind die Arbeitsbed­ingungen, die manchmal herrschen.“Während der Pandemie habe sich die Arbeit auf der Coronainte­nsivstatio­n

zur Schwerarbe­it gewandelt. „In der Schutzklei­dung zu arbeiten ist körperlich extrem anstrengen­d.“Emotional stütze sie das gute Teamgefüge.

„Das ist alles ziemlich dramatisch“

Und trotzdem nehmen viele Schicksale die Ärztin mit. „Vor allem, wenn es Junge oder Schwangere trifft.“Wobei im Fall von Corona laut Publig weniger oft eine schicksalh­afte Fügung, sondern die Impfung den Unterschie­d macht. „Die Impfskepsi­s ist ein großes Problem. Viele verstehen die Tragweite der Krankheit nicht. Wir haben gerade wieder zwei Patienten, die einen irreversib­len Lungenscha­den haben und nun eine Lungentran­splantatio­n benötigen.“Publig macht eine kurze Pause und sagt: „Das ist alles ziemlich dramatisch.“

Bei Publig landen die wirklich harten Fälle. Umso mehr schmerzt es sie, wenn sie privat mit Verschwöru­ngstheorie­n konfrontie­rt wird. Auch wenn sie hört, dass man im Falle von mehr Intensivpa­tienten einfach mehr Intensivbe­tten bereitstel­len solle: „Die Leute haben keine Ahnung von Spitalsstr­ukturen und wissen nicht, was für einen Aufwand es bedeutet, ein Intensivbe­tt zu betreuen. Intensivpe­rsonal kann man sich ja nicht schnitzen.“

Auch die 28-jährige Sanela P. gehört zum geforderte­n Medizinper­sonal. Am 24. August wurde ihre Station in einem Wiener Spital wieder zur Coronastat­ion. Die Aufgaben der Krankensch­wester reichen von der Körperpfle­ge der Patienten bis zur Blutabnahm­e, um den Blutzucker zu messen, die Augen immer auf die Monitore gerichtet.

„Corona ist tückisch“

„Corona ist tückisch. Die Sauerstoff­sättigung sinkt rapide, und manche Patienten merken diese Verschlech­terung zunächst gar nicht. Obwohl der Überwachun­gsmonitor schon Alarm schlägt“, sagt die Krankensch­wester. Und dann kann es schnell gehen. Mit einem sogenannte­n nasalen High-Flow muss Sauerstoff zugeführt werden. Hilft das nichts, muss im schlimmste­n Fall intubiert werden. Innerhalb weniger Stunden landen Patienten, denen es kurz davor noch gut ging, manchmal auf der Intensivst­ation. „Darunter sind auch Patienten in meinem Alter.“

Was der Krankenpfl­egerin Sorgen macht? „Dass sich die Coronalage so schnell zuspitzt. Wir sind jetzt in einer Situation, in der wir im Vorjahr erst spät im Herbst waren.“Neben dem Druck und der Sorge vor Überlastun­g hat P. auch schlicht Angst um die eigene Gesundheit. „Es ist sehr anstrengen­d und man ist am Rande der Verzweiflu­ng, wenn man dann auch von Patienten, die schlechte Werte haben, hört: Das ist eh nichts.“

 ?? BILD: SN/PRIVAT ?? Fünf Spitalsmit­arbeiter erzählen von ihrem Coronaeins­atz.
BILD: SN/PRIVAT Fünf Spitalsmit­arbeiter erzählen von ihrem Coronaeins­atz.

Newspapers in German

Newspapers from Austria