Adrette Frauen sind nicht immer glücklich
Künstlerinnen zeigen auf, wie sich Bedrängnis, Bevormundung und Diskriminierung anfühlen.
Die platt gedrückte Wange, die gequetschten Fingerkuppen und den Hilferuf „Ich möchte hier raus!“nehmen nur jene wahr, die behutsam auf diese Frau blicken. Hingegen sieht man beim schnellen Hinschauen eine adrette Dame mit gelocktem Haar, Spitzenkragen und Camée-Brosche, die vermutlich fast jeder
Mann gern zur Ehefrau oder Chefsekretärin hätte. Diese subtilen Details von Frauenrolle und Gefangenschaft, wie sie die Künstlerin Birgit Jürgenssen in diesem Foto 1976 festgehalten hat, fächert das Lentos in Linz in einer neuen Sonderausstellung auf.
LINZ. Es beginnt mit Enge an Armen und Beinen. Dieses Beschränken der Bewegung mit scheinbar harmlosen, weichen, weißen Faschen wächst sich aus – über Hals, Mund und Kopf. Schließlich ist der Mensch eingewickelt, wäre zwar noch lebendig, doch ist er zur Mumie erstarrt und fällt um. Dieses Sinnbild, das die damals ostdeutsche Künstlerin Gabriele Stötzer 1984 in einer Fotoserie festgehalten hat, birgt eine heute noch gültige Warnung: Das Verlieren von Freiheit – sei es für körperliche Bewegung, berufliche Handlung oder politische Äußerung – erfolgt meist so langsam wie unausgesprochen. Und dies kann fatal werden.
Jetzt ist diese Fotoserie im Linzer Lentos in einer Ausstellung, die keines Binnen-I bedarf. Direktorin Hemma Schmutz und Kuratorin Gabriele Schor präsentieren Werke von 82 Künstlerinnen: Damit erinnern sie an die 1970er-Jahre als entscheidendes Jahrzehnt für Kunst von Frauen – von Valie Exports ersten Aktionen und Fotos, wie „Genitalplastik“, über die erste US-Konferenz „for Women in the Visual Arts“1972 in Washington bis zu 1980, als mit Maria Lassnig erstmals in Österreich eine Frau einen Lehrstuhl an der Universität für angewandte Kunst in Wien einnahm.
Die Ausstellung basiert auf der seit 2004 von Gabriele Schor aufgebauten Sammlung der Verbund AG, die – neben dem Thema „Räume und Orte“– auf Feminismus in der Kunst seit 1970 spezialisiert ist. Mit dieser feministischen Avantgarde macht die Sammlung Verbund europaweit Furore und ist unter anderem in Brüssel, Hamburg, London, Madrid und Wien ausgestellt gewesen. Die bereits fixierte Premiere in New York ist wegen Covid-19 auf unbestimmte Zeit verschoben. Jüngste Neuerung sei die Erweiterung der Sammlung um Werke von afroamerikanischen Künstlerinnen wie Howardena Pindell oder Elizabeth Catlett sowie von Künstlerinnen aus ehemals kommunistischen Ländern, erläutert Gabriele Schor am Donnerstag im Pressegespräch.
Die Mumien-Fotoserie von Gabriele Stötzer ist als Exempel für Feminismus doppelt interessant: Erstens habe diese Künstlerin in der DDR – trotz Stasi-Kontrollen – konsequent feministische Kunst geschaffen, obwohl im Kommunismus die gesellschaftliche Gleichstellung von Mann und Frau propagiert worden sei, erläuterte Gabriele Schor. Zweitens hat sie ähnliche Bildsprachen gefunden wie Künstlerinnen in Kuba, Serbien, Schottland oder Österreich. Wie Gabriele Stötzer haben Ana Mendieta, Katalin Ladik, Elaine Shemilt und Birgit Jürgenssen ihre spürbare, doch unsichtbare soziale, berufliche und familiäre Bedrängnis sichtbar gemacht, indem sie ihre Gesichter und Körper von Glasplatten eingeengt oder gequetscht haben und sie derart verdrückt und verstümmelt fotografiert haben. Diese Künstlerinnen „konnten nichts voneinander wissen“, versichert Gabriele Schor.
Die rund 200 Kunstwerke im ersten Stock des Lentos hat sie zu fünf Themen gruppiert: die Rolle als Mutter, Haus- und Ehefrau, das Gefühl des Eingesperrtseins, das Diktat der Schönheit, die weibliche Sexualität sowie die Rollenspiele. Überall werden Leid, Einengung oder gar Gefangenschaft, Diskriminierung, Raub von Individualität und Würde, billiger Sex und sublimierte Gewalt durch Männer angeprangert. Doch überall brechen auch Ironie und Humor hervor – etwa wenn Mary Beth Edelson Leonardo da Vincis „Letztes Abendmahl“1972 mit damals lebenden amerikanischen Künstlerinnen besetzt hat, wie Lee Krasner, Helen Frankenthaler und Georgia O’Keeffe in der Hauptrolle als Jesus, oder wenn die Brasilianerin Regina Vater zwölf Mal ihr Gesicht fotografiert hat – jeweils in anderer Frisur und mit anderen Accessoires. So wird dieselbe Frau lasziv, penibel, revolutionär, verklemmt, verrucht, pragmatisch, frech oder herablassend.
Auch wenn die Ausstellung einen Rückblick auf westlichen Feminismus der 1970er-Jahre bietet, sind viele der damals gefundenen Ausdrucksweisen für Gefühl und Konsequenz von Freiheitsentzug noch gültig: Wer sich in einer unübersichtlich riesigen, nie endenden Aufgabe verwickelt fühlt, könnte sich trösten, dass die Niederländerin Anneke Barger Ähnliches fotografiert hat: wie sie in ein Fischernetz verwickelt ist und sich nach qualvoller Anstrengung nur teilweise daraus hat befreien können.
Ungleiche Bezahlung hat längst Margot Pilz aufgezeigt: Für ihren „Arbeiterinnenaltar“aus 1981 hat sie – damals auf Einladung der Gemeinde Wien – die Mitarbeiter in einer Kaffeerösterei befragt und fotografiert. Ihre Entdeckung: Frauen als Arbeiterinnen verdienten für dieselbe Tätigkeit bis zu halb so viel wie Männer im Status von Angestellten. Der „Arbeiterinnenaltar“ist nicht erhalten, doch im Lentos sind Fotos daraus zu sehen: schlichte Porträts von Männern und Frauen samt Angabe von Dienstjahren, Funktion und Monatslohn in Schilling. Zum Beispiel: „2 Jahre, Maschinenführer, Angestellter“und „9500“sowie „9 Jahre, Maschinenführerin, Arbeiterin“und „6500“.
„Der Feminismus ist reich an Ausdrucksformen.“
Gabriele Schor, Kuratorin