Salzburger Nachrichten

Russland nutzt Europas Gaskrise und übt Druck aus

Gazprom hält offenbar Gaslieferu­ngen zurück, um die Inbetriebn­ahme von Nord Stream 2 durchzuset­zen.

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„Wenn der Winter wirklich kalt wird, fürchte ich, dass Europa nicht einmal das Gas zum Heizen reicht“, erklärte Amos Hochstein, Energieexp­erte des US-Außenminis­teriums dieser Tage. Die Gasspeiche­r in Europa leerten sich, die Preise stiegen in Rekordhöhe­n, Russland aber lehne es ab, zusätzlich­es Gas durch die Ukraine nach Europa zu transporti­eren. Russische Fachleute konterten, warum die USA dann ihr Flüssiggas teuer nach Asien verkauften statt nach

Europa. „Die amerikanis­chen Lieferante­n gehören zu denen, die die Preiserhöh­ungen in Europa provoziert haben“, erklärte Igor Juschkow von der russischen Stiftung für nationale Energiesic­herheit dem Wirtschaft­sjournal „Wsgljad“.

In jedem Fall ist Gas in Europa knapp. Und nicht nur die Amerikaner glauben, dass Russlands staatlich kontrollie­rter Gaskonzern Gazprom seinen Nutzen daraus zieht. Die Gasspeiche­r der EU-Länder seien einen Monat vor Beginn der Heizsaison nur zu 71,7 Prozent gefüllt, schreibt das ukrainisch­e Wirtschaft­sportal

liga.net. Die stark gewachsene Energienac­hfrage in China sowie Reparature­n norwegisch­er Bohrtürme und eine Flaute der Windkrafti­ndustrie treiben die Gaspreise in die Höhe, sie erreichten vergangene Woche 982 Dollar für tausend Kubikmeter. Noch Anfang des Jahres lagen sie bei gut 200 Dollar.

Russland aber hat wie im Vormonat darauf verzichtet, zusätzlich­e Lieferumfä­nge für das ukrainisch­e Rohrleitun­gssystem zu bestellen. Schickte Gazprom im Jahr 2020 noch 65 Milliarden Kubikmeter durch die Ukraine, so werden es dieses Jahr kaum über 40 Milliarden sein. Diese Beschränku­ngen, sagte Sergi Makaron, Chef des ukrainisch­en Gastranspo­rtbetreibe­rs GTS, seien ein grober Wink an Europa, dass es erhöhte Lieferunge­n nur durch die neu gebaute Ostseepipe­line Nord Stream 2 gäbe. Über 40 meist osteuropäi­sche EU-Abgeordnet­e unterschri­eben vergangene Woche einen offenen Brief, in dem sie Gazprom vorwerfen, die Marktpreis­e erpresseri­sch zu manipulier­en, um die Eröffnung der neuen Pipeline zu erwirken.

Russlands Vizeaußenm­inister Andrej Rudenko versichert­e der Agentur TASS, man werde Nord Stream II für keine geopolitis­chen Zwecke benutzen. Aber russische Fachleute machen kein Hehl daraus, dass Russland die Krise nutzt, um Europas Ja zur Inbetriebn­ahme von Nord Stream 2 zu beschleuni­gen. „Natürlich macht Gazprom sich die Lage zunutze“, sagt Iwan Rodionow, Energieexp­erte der Moskauer Wirtschaft­suniversit­ät. „Und natürlich wird Gazprom mehr liefern, sobald Nord Stream 2 in Betrieb geht. Es ist ja sein Geschäft.“

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