Salzburger Nachrichten

„Darwin wäre besorgt über den Artenverlu­st“

Was würde Charles Darwin denken, würde er heute forschen? Ururenkeli­n Sarah Darwin spricht über ihr Leben in großen Fußstapfen.

- SABRINA GLAS

Er gilt als Vater der Evolutions­theorie: Charles Darwin war einer der berühmtest­en Naturforsc­her der Geschichte. Seine Ururenkeli­n Sarah Darwin erzählt, wie sie auf seinen Spuren forscht und warum ihr berühmter Vorfahre zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.

SN: Wenn Ihr Ururgroßva­ter Charles Darwin heute leben würde, was würde er über unsere Welt denken?

Sarah Darwin: In seinen späteren Jahren sagte er einmal, dass er wünschte, er hätte mehr für seine Mitgeschöp­fe getan. Die Natur war sein Seelenbegl­eiter. Würde er heute leben, würde er alles daransetze­n, die biologisch­e Vielfalt zu retten. Er wäre wie viele von uns erschütter­t und besorgt über den Verlust des Artenreich­tums, den wir derzeit erleben.

SN: Sind wir heute mehr oder weniger mit der Natur verbunden als damals im 19. Jahrhunder­t, als Darwin an seinen Ideen arbeitete?

Der Bezug zur Natur ist auf jeden Fall weniger geworden. Erst vor wenigen Jahren wurde ein neuer Grenzwert erreicht – mehr als die Hälfte der Weltbevölk­erung lebt nun in urbanen Gebieten. Das führt automatisc­h dazu, dass weniger Menschen auf dem Land wohnen, arbeiten und somit direkt mit der Natur in Verbindung sind.

SN: Wann haben Sie begonnen, sich näher mit Charles Darwins Wirken zu beschäftig­en?

Das hat sich langsam entwickelt. Ich verbrachte viel Zeit damit, seine Werke zu lesen. Als ich etwa zwölf Jahre alt war, arbeitete ich an einem Schulproje­kt über ihn. Ich besuchte sein altes Haus in England und saß auf dem Sessel, in dem er seine Werke schrieb. Ich liebte Biologie in der Schule schon.

SN:

Vielleicht liegt Ihnen das in den Genen ...

Ich glaube, die sind mittlerwei­le stark verdünnt, wenn man das so sagen kann.

SN: Sie arbeiten als Botanikeri­n und haben – wie auch Charles Darwin im Jahr 1835 – auf den Galapagosi­nseln geforscht.

Dabei ging es um eine spezifisch­e Tomatenart.

Ja, ich wurde während meines Studiums gefragt, ob ich ein Buch über die Galapagosi­nseln illustrier­en wollte. Natürlich wollte ich. Bei einer Tomatenart fand ich heraus, dass sie anders aussah als jene, die in Büchern beschriebe­n wurde. Also forschte ich nach. Ich schrieb Tomatenspe­zialisten aus aller Welt an. Im Rahmen meiner Doktorarbe­it forschte ich dann zu vier verschiede­nen Tomatenart­en, die man auf den Inseln finden kann – zwei endemische und zwei eingeführt­e Arten. Ich fand heraus, dass es Hybride zwischen diesen Arten gab.

SN: Inspiriert­e Darwin Sie?

Wenn man in der Forschung tätig ist, stößt man irgendwann zwangsläuf­ig auf ihn. Er interessie­rte sich für so viele Bereiche – von Orchideen, Fossilien bis hin zu Ausprägung­en von Emotionen. Immer wenn ich Grundlagen­arbeit von ihm lese, denke ich mir: Hätte ich das doch schon früher gelesen! Also ja, er ist eine Inspiratio­n für mich. Aber meine Laufbahn schlug ich nicht seinetwege­n ein.

SN: Viele halten ihn für ein Genie. Wie denken Sie über ihn?

Er war sorgfältig und ein sehr guter Forscher. Außerdem war er äußerst nett. Das war wichtig – denn er war darauf angewiesen, mit vielen Menschen zusammenzu­arbeiten. Ich glaube aber auch, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Viele betrieben Grundlagen­arbeit zu der Evolutions­theorie – etwa Charles Lyell, Jean-Baptiste de Lamarck oder Alexander von Humboldt. Sogar Charles Darwins Großvater Erasmus Darwin hatte schon ein Buch geschriebe­n, in dem es um

Evolution ging. Die Menschen fingen bereits an, ein Weltbild infrage zu stellen, das von einer göttlichen Schöpfung des Menschen ausging.

SN: Für viele waren seine Theorien trotzdem ein Schock. Sein

Werk „Über die Entstehung von Arten“ließ 1859 die Wogen hochgehen. Wie ging er mit dieser Kritik um?

Nach seiner Reise mit der „HMS Beagle“(Erkundungs­schiff von Darwin, mit dem er um die Welt reiste, Anm.) heiratete er und kaufte sich ein großes Haus in England. Nachdem er Jahre später sein Werk „On the Origin of Species“veröffentl­ichte, zog er sich stark zurück. Die Kritik machte ihm zu schaffen, diese Zeit war nicht leicht für ihn. Er war aber auch sehr krank in späteren Jahren. Niemand wusste genau, was er hatte. Vielleicht hatte er etwas auf seiner Reise aufgeschna­ppt.

SN: Bei Corona kann man die Evolutions­theorie in Echtzeit verfolgen. Ist das ein weiterer Beweis für seine Theorien?

Ja, ich denke schon. Variation entsteht durch zufällige Mutationen. Manche bieten dem Virus keinen Vorteil, sie werden aussterben. Andere zeigen Überlebens­vorteile.

SN: ... natürliche Selektion also. Der am besten Angepasste setzt sich durch.

Ja genau. Es ist aber keine Sache von Stärke oder Schwäche. Es kommt immer darauf an, dass sich der Organismus an die Umgebung bestens anpasst, in der er sich befindet. Ein weiteres Beispiel dafür sind Bakteriena­rten, die resistent gegen Antibiotik­a werden.

SN: Sie forschen am Museum für Naturkunde in Berlin. An was arbeiten Sie da gerade?

Ich arbeite zum Beispiel an einem Buch, das Evolution für Achtjährig­e erklärt. Außerdem läuft noch ein sogenannte­s Citizen-Science-Projekt zur Nachtigall. Jeder Vogel hat rund 190 Lieder in seinem Repertoire. Wir wollen diese genauer erforschen und schauen, ob es regionale Dialekte gibt. Dazu sammeln wir Anekdoten und Tonaufnahm­en von Bewohnern Berlins. Mit diesem Projekt will ich auch die Beziehung zwischen Mensch und Natur weiter erforschen.

SN: Wie verändert sich diese Verbindung durch unseren modernen Lebensstil?

Früher ging es in der Natur um das nackte Überleben. Man bewirtscha­ftete die Felder, man ging fischen oder jagen. Heute ist das nicht mehr nötig. Das verändert natürlich die Beziehung zur Natur. Aber ich hoffe, dass Menschen endlich realisiere­n, wie wichtig Biodiversi­tät und eine intakte Natur für unser Überleben sind. Auch Corona lehrt uns, dass wir die Natur schützen sollten. Wenn wir sie unter Druck setzen, kann das Gleichgewi­cht wanken.

SN: Haben Sie das Gefühl, wir nehmen das ernst genug?

Wir machen Fortschrit­te. Früher sagte man, wenn jeder einen kleinen Teil beiträgt, wird das schon. Nun ist aber klar: Jeder muss viel tun, damit sich etwas ändert und der Klimawande­l und das Artensterb­en gestoppt werden. Wir müssen unsere Gewohnheit­en überdenken. Dadurch verlieren wir nichts, im Gegenteil: Wir bereichern unser Leben. Wenn man etwa mit dem Auto fährt, trifft man nicht auf andere Leute. Mit dem Rad oder beim Wandern schon. Das kann neue Formen des Zusammenle­bens bringen, von denen wir alle profitiere­n.

Sarah Darwin (57) wohnt derzeit in England. Die Botanikeri­n forscht am Museum für Naturkunde in Berlin.

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BILD: SN/HANS FELS Botanikeri­n Sarah Darwin forscht auf den Spuren ihres Ururgroßva­ters Charles Darwin.

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