Stimmt Berlin für Enteignung?
Am Wahlsonntag geht es in der deutschen Hauptstadt auch um ein brisantes Volksbegehren. Gefordert wird die Enteignung von großen Wohnbauunternehmern.
Es ist ein umstrittenes Volksbegehren, über das die Berliner am Sonntag entscheiden werden. „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“nennt sich die dahinterstehende Initiative. Sie will erreichen, dass die Stadt rund 240.000 Wohnungen in der Hand großer Unternehmen enteignet und den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften überlässt. Betroffen wäre etwa jede zehnte Wohnung in der deutschen Hauptstadt.
Die Baugesellschaft Deutsche Wohnen steht nicht umsonst im Zentrum der Initiative. Sie ist mit rund 100.000 Wohnungen der größte private Eigentümer der Stadt. Pikanterweise hat das Unternehmen seinen Bestand vor allem durch Zukäufe aus öffentlichen Beständen zu Billigpreisen aufgebaut, als Berlin aufgrund einer schlechten Kassenlage sein Tafelsilber verscherbelte. Über die Deutsche Wohnen
hinaus dürfte ein Dutzend weiterer Unternehmen für eine Enteignung infrage kommen. Es geht um alle Bestände, die mehr als 3000 Wohnungen umfassen.
Die Chancen des Volksbegehrens stehen gar nicht schlecht, wie jüngste Umfragen zeigen. Demnach plädiert etwa die Hälfte der Berliner dafür, 43 Prozent sprechen sich dagegen aus. Damit ist die Zahl der Befürworter binnen eines Jahres deutlich angewachsen.
Dabei käme eine Zwangsenteignung das Land Berlin wohl teuer zu stehen. Die Immobilienkonzerne müssten entschädigt werden. Der Senat schätzt die Kosten auf 28 bis 36 Milliarden Euro. Die Initiative selbst geht von einer Entschädigungssumme zwischen knapp acht und gut 13 Milliarden Euro aus.
Dieser Aufwand ist einer der Streitpunkte. Berlins Kultursenator Klaus Lederer, auch Spitzenkandidat der Linken, ist für die Vergesellschaftung. „Die Steuerzahler werden keinen einzigen Cent bezahlen“, versichert er. Die Linke will die Entschädigungen per Kredit finanzieren, der durch die Mieteinnahmen über mehrere Jahrzehnte getilgt werden soll. Ganz anders sieht es die CDU. „Lassen Sie uns mit dem Geld den Neubau finanzieren“, schlägt deren Spitzenkandidat Kai Wegener als Alternative vor.
Obwohl eine klare Mehrheit der SPD-Anhänger für die Enteignung ist, spricht sich die Favoritin auf den Posten des Regierenden Bürgermeisters, Franziska Giffey, dagegen aus. „Ich möchte das Geld in die soziale Infrastruktur und den Wohnungsneubau investieren“, sagt sie. Sollte das Volksbegehren erfolgreich sein, würden die rechtlichen Möglichkeiten einer Enteignung jedoch geprüft.
Der zweite große Streitpunkt ist die Rechtslage. Die Landesverfassung sieht Enteignungen nicht vor. Darüber steht aber das Grundgesetz, das diese Möglichkeit einräumt. Für den Bau von Flughäfen oder Autobahnen werden Immobilien zwangsweise vom Staat übernommen. Ob das auch bei einem Notstand im Wohnungsbau gilt, den die Linke anführt, ist umstritten. „Eine Enteignung per Gesetz ist nach der Berliner Landesverfassung gar nicht möglich“, sagt der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU).
Mit Sicherheit würde eine Enteignung einen langen Rechtsstreit nach sich ziehen, den wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden müsste. Dort hat sich der Berliner Senat beim jüngsten Versuch, den Anstieg der Mieten einzudämmen, eine Abfuhr geholt. Mit dem Plan eines Mietendeckels ist die Stadt abgeblitzt, weil sie dafür nicht zuständig ist.