Zu Gast bei der Dame, die alle „Frau Merkel“rufen
Ein Schrank voller Blazer steht im Arbeitszimmer von Ursula Wanecki. Sie ist das berühmteste Double der Kanzlerin.
Willkommen in Attendorn im Sauerland. Willkommen in Angela Merkels Reihenhäuschen. Die Kanzlerin öffnet die Tür in einem roten Blazer, dazu trägt sie eine schwarze Hose und um den Hals ihre Bernsteinkette. Auf dem Tisch im Wohnzimmer stehen schon Kaffee und Pralinen bereit.
Das wäre natürlich eine zu schöne Geschichte.
Wir sind zu Gast bei Ursula Wanecki, Deutschlands bekanntestem Merkel-Double. Die 65-Jährige tritt seit mehr als zehn Jahren in Filmen und zu verschiedenen Anlässen im In- und Ausland als Kanzlerin auf. Entdeckt wurde die gebürtige Polin, die 1985 nach Deutschland kam, im Karneval. Wanecki hatte keine Verkleidung,
borgte sich einen Blazer – und fertig war die Kanzlerin. „Dass ich Ähnlichkeiten mit Frau Merkel habe, wusste ich schon länger“, sagt sie lachend.
Wanecki sieht der Kanzlerin tatsächlich verblüffend ähnlich. Man könnte glauben, man säße der mächtigsten Frau der Welt gegenüber. Nur ihr polnischer Akzent verrät das Merkel-Double. „Dann sage ich, dass ich zu lange mit Putin russisch sprechen musste und den Akzent jetzt nicht mehr loswerde.“
Sobald Wanecki den Blazer überstreift, laufen Mimik und Gestik wie von allein ab. Ihre Hände formt sie automatisch zur Raute. „Das muss ich mir wieder abtrainieren“, meint sie. Eines ist ihr wichtig: Die typische Merkel-Frisur ist eigentlich die Wanecki-Frisur. Die 65-Jährige holt ein Foto hervor, es zeigt sie als Jugendliche. „Gucken Sie, ich hatte diese Frisur schon Jahre vor Frau Merkel. Ich bin die Erfinderin der Merkel-Frisur!“Nun muss sie wieder schallend lachen.
Wenn Wanecki nicht als MerkelDouble durch die Republik oder zu internationalen Treffen tourt, arbeitet sie als Steuerfachfrau. Geht sie in Attendorn zum Bäcker, sagen die Leute „Hallo Angie“oder „Guten Tag, Frau Kanzlerin“. Der Double-Job hat ihr Einkommen aufgebessert. „Aber gigantisch sind die Gagen nicht.“
Wanecki führt in ihr Arbeitszimmer, öffnet einen Holzschrank. Darin Blazer in allen Farben. Die 65Jährige ist bei einer Künstleragentur registriert und wird für Double-Auftritte gebucht. Für jede Rolle, die sie spielt, hat sie den passenden Blazer. Auf alle Anfragen geht sie aber nicht ein. Fotosessions als Merkel in Dessous oder im Swingerclub, da sagt sie Nein. Auch aus Respekt der Kanzlerin gegenüber.
Nun geht Merkel in den Ruhestand. Und auch Ursula Wanecki tritt kürzer. Einen großen Wunsch will sie sich noch erfüllen: einmal Merkel persönlich begegnen. „Ich würde ihr sagen, dass es mir eine Ehre ist und ich sie für eine sehr kluge Frau halte.“