Ich übersiedle auf den Adolf-Hitler-Platz
Über das Vergessen, wo man wohnt und welchen Namen eine Straße haben sollte.
Mein Elternhaus steht in der Vorstadt. Aber so eine Vorstadt wuchert ja, weil in diesem Land Raumplanung mit Grundstückspekulieren verwechselt wird. Es wurden vor ein paar Jahren neue Hausnummern vergeben. Davor gingen Briefe nach Hause in die „Pflegfeldstraße 309“, jetzt haben wir Nummer 20. Ich finde, das ist keine Verbesserung, sondern eine Verallgemeinerung, folgt also ganz dem Trend: gleichmachen, vereinheitlichen, normieren, vereinfachen, verkürzen. 20 ist nämlich einfacher als 309. Die Leute können sich ja nichts mehr merken, was wiederum auch damit zu tun hat, dass es eine Haltung gibt, die besagt: Überhaupt ist eh alles zum Vergessen. Das Vergessen wird in der österreichischen DNA mitgeliefert. Das Verdrängen gehört dazu wie das Neujahrskonzert. Wir gewöhnen uns an etwas, und dann soll es gefälligst bleiben, wie es ist und war. Alles andere müsste womöglich diskutiert, neu bedacht und – herrgottstehunsbei – verändert werden. Zum Beispiel Straßennamen. Aber da muss man sagen, da ist Salzburg ein Vorbild. Da wird nicht lange herumdiskutiert, da wird von einer schwarz-blauen Mehrheit im Stadtrat einfach beschlossen: Nazinahe Namen bleiben bei uns weiterhin auf Straßenschildern. Egal, dass es da einen Historikerbericht gibt, der Anlass gibt, darüber nachzudenken. Denken tun sie anderswo. Anderswo werden Straßen umbenannt oder erklärende Zusatztafeln aufgehängt. Eine Idee anderswo ist auch, gleich die ganze Namensgeschichte von Straßen oder Plätzen zu erklären. Weil oft waren hierzulande die schönsten Plätze in den schönsten Altstädten einmal der Adolf-HitlerPlatz und vorher ein Kaiser-XY-Platz oder ein Dollfuß-Platz. Das ließe sich alles auf Tafeln erklären und man könnte im Vorbeigehen lernen. Man muss aber auch die Bewahrer und kleinen Geister des Wegschauens verstehen. Womöglich ist das mit den Namen von Nazis und Mitläufern dann nur der Anfang. Und einer kommt und sagt: Ich möchte nicht im Falkenweg wohnen, sondern in der Rotkehlchengasse, weil der Raubvogel ist natürlich böser als das Singsangvogerl. Ist nicht auch ein Nesselweg ein dramatisch unwürdiger Wohnort im Vergleich zur Rosenallee: Unkraut gegen blühende Schönheit. Und was macht eine Feministin, wenn die einzige leistbare Wohnung in der Herrengasse liegt? Es ist alles sehr, sehr kompliziert. Aber, eh selten genug, da habe ich eine Lösung: Ich bin für die Auslöschung aller Straßennamen in Stadt, Land, weltweit und plädiere für einen Neubeginn durch Nummerierung. Zahlen sind unverdächtig, unschuldig und man darf vermuten, dass die meisten, wenn sie schon nicht lesen wollen, zumindest zählen können. Aber dann sagt eine: Was ist mit 13, da will aus Aberglaube niemand hin. Und dass 88 natürlich ein Code für „Heil Hitler“ist, habe ich auch vergessen. Und erst recht die 666, die Teufelsbiestnummer, die Offenbarung des Johannes, das Ende der Welt. Oder ist 666 doch nur eine Erinnerung an Bubentage zu Vorstadtzeiten? „666, the Number of the Beast“hieß ein herrlicher Kracher von Iron Maiden, die sich übrigens nach einem Folterinstrument benannt hatten.
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