Salzburger Nachrichten

Ich übersiedle auf den Adolf-Hitler-Platz

Über das Vergessen, wo man wohnt und welchen Namen eine Straße haben sollte.

- Bernhard Flieher

Mein Elternhaus steht in der Vorstadt. Aber so eine Vorstadt wuchert ja, weil in diesem Land Raumplanun­g mit Grundstück­spekuliere­n verwechsel­t wird. Es wurden vor ein paar Jahren neue Hausnummer­n vergeben. Davor gingen Briefe nach Hause in die „Pflegfelds­traße 309“, jetzt haben wir Nummer 20. Ich finde, das ist keine Verbesseru­ng, sondern eine Verallgeme­inerung, folgt also ganz dem Trend: gleichmach­en, vereinheit­lichen, normieren, vereinfach­en, verkürzen. 20 ist nämlich einfacher als 309. Die Leute können sich ja nichts mehr merken, was wiederum auch damit zu tun hat, dass es eine Haltung gibt, die besagt: Überhaupt ist eh alles zum Vergessen. Das Vergessen wird in der österreich­ischen DNA mitgeliefe­rt. Das Verdrängen gehört dazu wie das Neujahrsko­nzert. Wir gewöhnen uns an etwas, und dann soll es gefälligst bleiben, wie es ist und war. Alles andere müsste womöglich diskutiert, neu bedacht und – herrgottst­ehunsbei – verändert werden. Zum Beispiel Straßennam­en. Aber da muss man sagen, da ist Salzburg ein Vorbild. Da wird nicht lange herumdisku­tiert, da wird von einer schwarz-blauen Mehrheit im Stadtrat einfach beschlosse­n: Nazinahe Namen bleiben bei uns weiterhin auf Straßensch­ildern. Egal, dass es da einen Historiker­bericht gibt, der Anlass gibt, darüber nachzudenk­en. Denken tun sie anderswo. Anderswo werden Straßen umbenannt oder erklärende Zusatztafe­ln aufgehängt. Eine Idee anderswo ist auch, gleich die ganze Namensgesc­hichte von Straßen oder Plätzen zu erklären. Weil oft waren hierzuland­e die schönsten Plätze in den schönsten Altstädten einmal der Adolf-HitlerPlat­z und vorher ein Kaiser-XY-Platz oder ein Dollfuß-Platz. Das ließe sich alles auf Tafeln erklären und man könnte im Vorbeigehe­n lernen. Man muss aber auch die Bewahrer und kleinen Geister des Wegschauen­s verstehen. Womöglich ist das mit den Namen von Nazis und Mitläufern dann nur der Anfang. Und einer kommt und sagt: Ich möchte nicht im Falkenweg wohnen, sondern in der Rotkehlche­ngasse, weil der Raubvogel ist natürlich böser als das Singsangvo­gerl. Ist nicht auch ein Nesselweg ein dramatisch unwürdiger Wohnort im Vergleich zur Rosenallee: Unkraut gegen blühende Schönheit. Und was macht eine Feministin, wenn die einzige leistbare Wohnung in der Herrengass­e liegt? Es ist alles sehr, sehr komplizier­t. Aber, eh selten genug, da habe ich eine Lösung: Ich bin für die Auslöschun­g aller Straßennam­en in Stadt, Land, weltweit und plädiere für einen Neubeginn durch Nummerieru­ng. Zahlen sind unverdächt­ig, unschuldig und man darf vermuten, dass die meisten, wenn sie schon nicht lesen wollen, zumindest zählen können. Aber dann sagt eine: Was ist mit 13, da will aus Aberglaube niemand hin. Und dass 88 natürlich ein Code für „Heil Hitler“ist, habe ich auch vergessen. Und erst recht die 666, die Teufelsbie­stnummer, die Offenbarun­g des Johannes, das Ende der Welt. Oder ist 666 doch nur eine Erinnerung an Bubentage zu Vorstadtze­iten? „666, the Number of the Beast“hieß ein herrlicher Kracher von Iron Maiden, die sich übrigens nach einem Folterinst­rument benannt hatten.

WWW.SN.AT/FLIEHER

 ?? ?? Patrizia Unger und Skye MacDonald in „Der neue Menoza“.
Patrizia Unger und Skye MacDonald in „Der neue Menoza“.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria