Als den Geimpften noch Hörner wuchsen
Wer hat wie viel zu sagen im Staat? Diese Frage beschäftigte schon den guten alten Platon. Der meinte, es wäre am besten, wenn der Staat von Philosophen regiert würde, was nicht weiter verwundert, war Platon doch selbst einer der ganz großen Denker.
Seit Platons Tagen nervt es die besser Informierten, dass sie die Macht mit den weniger Informierten teilen müssen – und sich deren teils fragwürdige Ansichten anhören müssen. Was den deutschen Komiker Dieter Nuhr vor Jahren zu einem Appell an seine Landsleute veranlasste: „Ich glaube, das ist falsch verstanden worden mit der Demokratie: Man darf in der Demokratie eine Meinung haben, man muss nicht! Das wäre ganz wichtig, dass sich das mal herumspricht: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten! Das wär schön!“
Von solchen Aufrufen lassen sich überzeugte Impfgegner indes nicht beeindrucken. Schon gar nicht, seit Corona umgeht. Das Virus scheint deren basisdemokratischen Ehrgeiz erst richtig entfacht zu haben: Seit ein paar Tagen läuft das Volksbegehren „Impfpflicht: Striktes NEIN“– als Kontrapunkt zum Volksbegehren „Impfpflicht: Notfalls JA“. In Oberösterreich mischt gar eine eigene Impfskeptiker-Liste im laufenden Wahlkampf mit und macht der FPÖ beim Buhlen um die Stimmen der Impfkritiker und Coronaleugner Konkurrenz.
Wobei man sagen muss: Ärzte und Wissenschaft hatten es in Österreich nie leicht, wenn es darum ging, das Volk von den „Segnungen der Medizin“zu überzeugen. Schon im 18. Jahrhundert klagte man über das „thumme bauren Volk“, das in Seuchenzeiten lieber auf die Gnade Gottes hoffte. Und die Impfgegner waren schon damals recht kreativ, wenn es hieß, den Impfteufel an die
Wand zu malen: Zwar warnte niemand vor Mikrochips. Dafür waren auf Karikaturen Menschen zu sehen, denen nach der Kuhpockenimpfung Hörner und Euter gewachsen waren. Und das, obwohl sich die mächtigste Frau im Land, Maria Theresia, persönlich von Beginn an für die Pockenimpfung starkgemacht hatte, nachdem einige ihrer Kinder an der Seuche gestorben waren und ihre hübsche Tochter Maria Elisabeth wegen der Pocken so entstellt war, dass die Mutter sie nicht mehr verheiraten konnte.
Ein halbes Jahrhundert später ging die Cholera um die Welt – und manch Arzt verzweifelte an der Nonchalance, mit der man hierzulande damit umging. Die Gegner der Coronamaßnahmen hätten damals wohl in Johann Strauß Vater ein Idol gefunden, steuerte dieser doch in der ärgsten Seuchenkrise fröhliche Musik für Tanzevents bei mit Walzertiteln àla Heiter auch in ernster Zeit. Und ähnlich wie heute gab es auch in Medizinerkreisen manche, die sich dem Kalmieren verschrieben hatten. Sogar in der „Gesundheits-Zeitung“stand zu lesen, man möge sich doch dem Feiern hingeben: „Das Vergnügen treibt mit wohlthätig milder Schnelligkeit unser Blut durch Herz, Lunge und den ganzen Körper und befördert dadurch unsere Gesundheit aufs Beste.“
Damals wunderte sich der Arzt William Wilde über den Tanz-Eifer in der Pandemie. Alexander Bartl zitiert in seinem neuen Buch „Walzer in Zeiten der Cholera“den Vater von Oscar Wilde mit den Worten: „Es ist wirklich berauschend für einen Fremden, so viele Dinge um einen herum zu sehen, die sich im Kreis drehen – Männer, Frauen und Kinder – die Glücklichen und die Melancholischen.“
Seltsame Ansichten zum Umgang mit Seuchen kamen einst auch vom Philosophen Immanuel Kant, der warnte, mit der Kuhpockenimpfung würden schlechte tierische Eigenschaften auf den Menschen übertragen. Platon hätte in ihm wohl keinen tauglichen Philosophen-Minister gesehen.