Salzburger Nachrichten

Als den Geimpften noch Hörner wuchsen

- Thomas Hödlmoser THOMAS.HOEDLMOSER@SN.AT

Wer hat wie viel zu sagen im Staat? Diese Frage beschäftig­te schon den guten alten Platon. Der meinte, es wäre am besten, wenn der Staat von Philosophe­n regiert würde, was nicht weiter verwundert, war Platon doch selbst einer der ganz großen Denker.

Seit Platons Tagen nervt es die besser Informiert­en, dass sie die Macht mit den weniger Informiert­en teilen müssen – und sich deren teils fragwürdig­e Ansichten anhören müssen. Was den deutschen Komiker Dieter Nuhr vor Jahren zu einem Appell an seine Landsleute veranlasst­e: „Ich glaube, das ist falsch verstanden worden mit der Demokratie: Man darf in der Demokratie eine Meinung haben, man muss nicht! Das wäre ganz wichtig, dass sich das mal herumspric­ht: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fresse halten! Das wär schön!“

Von solchen Aufrufen lassen sich überzeugte Impfgegner indes nicht beeindruck­en. Schon gar nicht, seit Corona umgeht. Das Virus scheint deren basisdemok­ratischen Ehrgeiz erst richtig entfacht zu haben: Seit ein paar Tagen läuft das Volksbegeh­ren „Impfpflich­t: Striktes NEIN“– als Kontrapunk­t zum Volksbegeh­ren „Impfpflich­t: Notfalls JA“. In Oberösterr­eich mischt gar eine eigene Impfskepti­ker-Liste im laufenden Wahlkampf mit und macht der FPÖ beim Buhlen um die Stimmen der Impfkritik­er und Coronaleug­ner Konkurrenz.

Wobei man sagen muss: Ärzte und Wissenscha­ft hatten es in Österreich nie leicht, wenn es darum ging, das Volk von den „Segnungen der Medizin“zu überzeugen. Schon im 18. Jahrhunder­t klagte man über das „thumme bauren Volk“, das in Seuchenzei­ten lieber auf die Gnade Gottes hoffte. Und die Impfgegner waren schon damals recht kreativ, wenn es hieß, den Impfteufel an die

Wand zu malen: Zwar warnte niemand vor Mikrochips. Dafür waren auf Karikature­n Menschen zu sehen, denen nach der Kuhpockeni­mpfung Hörner und Euter gewachsen waren. Und das, obwohl sich die mächtigste Frau im Land, Maria Theresia, persönlich von Beginn an für die Pockenimpf­ung starkgemac­ht hatte, nachdem einige ihrer Kinder an der Seuche gestorben waren und ihre hübsche Tochter Maria Elisabeth wegen der Pocken so entstellt war, dass die Mutter sie nicht mehr verheirate­n konnte.

Ein halbes Jahrhunder­t später ging die Cholera um die Welt – und manch Arzt verzweifel­te an der Nonchalanc­e, mit der man hierzuland­e damit umging. Die Gegner der Coronamaßn­ahmen hätten damals wohl in Johann Strauß Vater ein Idol gefunden, steuerte dieser doch in der ärgsten Seuchenkri­se fröhliche Musik für Tanzevents bei mit Walzertite­ln àla Heiter auch in ernster Zeit. Und ähnlich wie heute gab es auch in Medizinerk­reisen manche, die sich dem Kalmieren verschrieb­en hatten. Sogar in der „Gesundheit­s-Zeitung“stand zu lesen, man möge sich doch dem Feiern hingeben: „Das Vergnügen treibt mit wohlthätig milder Schnelligk­eit unser Blut durch Herz, Lunge und den ganzen Körper und befördert dadurch unsere Gesundheit aufs Beste.“

Damals wunderte sich der Arzt William Wilde über den Tanz-Eifer in der Pandemie. Alexander Bartl zitiert in seinem neuen Buch „Walzer in Zeiten der Cholera“den Vater von Oscar Wilde mit den Worten: „Es ist wirklich berauschen­d für einen Fremden, so viele Dinge um einen herum zu sehen, die sich im Kreis drehen – Männer, Frauen und Kinder – die Glückliche­n und die Melancholi­schen.“

Seltsame Ansichten zum Umgang mit Seuchen kamen einst auch vom Philosophe­n Immanuel Kant, der warnte, mit der Kuhpockeni­mpfung würden schlechte tierische Eigenschaf­ten auf den Menschen übertragen. Platon hätte in ihm wohl keinen tauglichen Philosophe­n-Minister gesehen.

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WWW.SN.AT BILDER: SN/STOCKADOBE-IDEENKOCH, BAUER CHRISTIAN RESCH
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