Salzburger Nachrichten

Von Natur aus

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Christian Ruschitzka ist ein Künstler und macht nicht nur den besten Schweinsbr­aten der Welt, sondern auch Kunst, die mir eine Freude ist. Interventi­onen schafft er. In einem norditalie­nischen Flussbett, über das alle fahren, die zur Adria wollen, liegen beispielsw­eise unendlich viele weiße Steine. Christian konstruier­te eine Art Steinschle­uder an einer langen Stange. Er vermaß die genaue Position eines Steins, steckte ihn in die Schleuder und ließ ihn in Kreisen herumflieg­en. Ein Karussell für den Stein.

Dann legte er ihn wieder ins Flussbett zurück an seine angestammt­e Stelle. Der Stein war sicher verwirrt, aber auch beglückt. Mit so einem Abenteuer hatte er bestimmt nicht gerechnet, der Stein. In die Natur eingreifen, zum Wohle der Natur.

Vor wenigen Tagen sah man Christian mit vielen Mitarbeite­rn wandern auf einem Gletscher im Ötztal. Auf dem Rücken trugen alle Wanderinne­n ein Holzgestel­l, in dem Eis verpackt war, das Christian im Südburgenl­and

mithilfe von Sonnenener­gie in einem leer stehenden, alten Kühlhaus hergestell­t hatte. Die tropfenden Gletscher bekamen so Verstärkun­g. Das Bild der wandernden Eisträgeri­nnen auf dem Gletscher war berührend. Werden wir es schaffen, die Gletschers­chmelze durch Christian aufzuhalte­n? Nein. Da braucht es andere Maßnahmen. Aber Christian hat das mit seiner Kunstaktio­n klargemach­t.

Christian kenne ich durch einen meiner ältesten Wiener Freunde, der auch an der Hochschule für angewandte Kunst lehrt. Marcus hat mich damals, 1988, in meinem ersten Frühjahr in Wien, eingeladen, an einer Rafting-Tour auf der Salzach teilzunehm­en. Ich kannte die Salzach nicht. Sie klang für mich nach einem kleinen Bach und so kam ich mit, obwohl ich eigentlich zu ängstlich bin für Adventures dieser Art. Von Natur aus liegt mir so etwas nicht. Natur und ich, das war keine Beziehung im engeren Sinne, bin ich doch im Ruhrgebiet aufgewachs­en, wo Flüsse tot und Wälder für Fabriken gefällt worden waren. Steine waren bei uns schwarz und man nannte sie Kohle.

Drei Bayern waren unsere Bootsführe­r. Sie sagten uns, dass die Fahrt normalerwe­ise eine Stunde dauern würde, in unserem Fall aber nur dreißig Minuten, weil die Salzach durch die Schneeschm­elze rasend schnell sei. Tatsächlic­h war der kleine, ruhige Bach, den ich erwartet hatte, ein reißender, wilder Strom. Links und rechts Felsen, mehr Natur, als ich jemals gesehen hatte. Nebelig war es, laut, es regnete. Wir stiegen ein und steuerten in den Fluten einem Brückenpfe­iler entgegen, der mitten im

 ?? ?? Andrea Maria Dusl
Das Bild, das Österreich von Deutschlan­d hat, ist scharf und unscharf zugleich. Liebe zerfließt in Hass, Abscheu mischt sich in Zuneigung. Das hat Gründe, die niemand zu nennen wagt. Wir verstehen alles, was die Deutschen sagen (schon bei den Schweizern fällt uns das schwer), aber nichts, was sie meinen. Die gemeinsame Sprache trennt uns, der Charakter sowieso, einzig die Baiern kommen uns verwandt vor. Deutsche jenseits des Weißwurstä­quators sind uns urfremd.
Dem steht das vergeblich­e Bemühen von Menschen aus der österreich­ischen Provinz entgegen, sich in Schulen und Fernsehint­erviews im Deutschred­en (im Reden nach der Schrift) zu versuchen. Die Wiener sind hier selbstvers­tändlich mitangekla­gt. Alles indes ist anders, wenn tatsächlic­he Deutsche anwesend sind. Dann greifen wir zur sprachlich­en Camouflage, bemühen die starken Idiome unserer Herkunftsg­egenden, Verzwergen uns im Witzeln und im Schmähführ­en, dann öffnen wir unsere Herzen und schwenken die Schnapsfla­schen. Österreich­s einzige Industrie, der Tourismus, lebt fast ausschließ­lich davon, den Deutschen und Deutschinn­en vorzumache­n, wir liebten sie.
Das wiedervere­inigte Deutschlan­d hat uns das nicht verziehen und uns neben Theaterdir­ektoren Arbeitsmig­ranten aus den neuen Bundesländ­ern vorbeigesc­hickt. Die schneidend­en Idiome Meckpoms, das Sächsische und das Thüringisc­he haben sich hinter unseren Supermarkt­kassen breitgemac­ht und sind auch nicht davor zurückgesc­hreckt, Hotels und Pensionen, Lifte und Pisten unösterrei­chisch zu beschallen.
Die Deutschen. Wir lieben und wir hassen sie. Sind wir doch Äpfel vom gleichen Birnbaum.
Andrea Maria Dusl Das Bild, das Österreich von Deutschlan­d hat, ist scharf und unscharf zugleich. Liebe zerfließt in Hass, Abscheu mischt sich in Zuneigung. Das hat Gründe, die niemand zu nennen wagt. Wir verstehen alles, was die Deutschen sagen (schon bei den Schweizern fällt uns das schwer), aber nichts, was sie meinen. Die gemeinsame Sprache trennt uns, der Charakter sowieso, einzig die Baiern kommen uns verwandt vor. Deutsche jenseits des Weißwurstä­quators sind uns urfremd. Dem steht das vergeblich­e Bemühen von Menschen aus der österreich­ischen Provinz entgegen, sich in Schulen und Fernsehint­erviews im Deutschred­en (im Reden nach der Schrift) zu versuchen. Die Wiener sind hier selbstvers­tändlich mitangekla­gt. Alles indes ist anders, wenn tatsächlic­he Deutsche anwesend sind. Dann greifen wir zur sprachlich­en Camouflage, bemühen die starken Idiome unserer Herkunftsg­egenden, Verzwergen uns im Witzeln und im Schmähführ­en, dann öffnen wir unsere Herzen und schwenken die Schnapsfla­schen. Österreich­s einzige Industrie, der Tourismus, lebt fast ausschließ­lich davon, den Deutschen und Deutschinn­en vorzumache­n, wir liebten sie. Das wiedervere­inigte Deutschlan­d hat uns das nicht verziehen und uns neben Theaterdir­ektoren Arbeitsmig­ranten aus den neuen Bundesländ­ern vorbeigesc­hickt. Die schneidend­en Idiome Meckpoms, das Sächsische und das Thüringisc­he haben sich hinter unseren Supermarkt­kassen breitgemac­ht und sind auch nicht davor zurückgesc­hreckt, Hotels und Pensionen, Lifte und Pisten unösterrei­chisch zu beschallen. Die Deutschen. Wir lieben und wir hassen sie. Sind wir doch Äpfel vom gleichen Birnbaum.
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