Herr Liszt und sein Hund
Mittelburgenland. Geburtshaus des Virtuosen, Blaufränkischer und Bernstein Trail: Hier sind Schätze zu heben.
Mufflon. Die Wälder des Mittelburgenlands gelten seit jeher als wildreich. Das Renaissanceschloss Lackenbach südlich von Raiding, heute ein exklusives Boutiquehotel mit Museum, berichtet von der Jagdleidenschaft der Fürsten Esterházy, deren Reviere sich von Schwaben über den Plattensee bis in die Ukraine erstreckten. Von Eisenstadt aus dirigierten sie ihre Ländereien, treue Vasallen der Habsburger, hochgelobte Feldherren und großzügige Mäzene. In ihrem Dienst befand sich Adam Liszt, der seine künstlerischen Ambitionen zugunsten der Arbeit als Verwalter der fürstlichen Schäferei aufgeben musste. Umso ehrgeiziger beförderte er die Talente seines 1811 geborenen Sohnes, den er schon als Neunjährigen ausschickte, die musikalische Welt zu erobern.
Nach dem Tod des Vaters ist der junge Franz Liszt auf sich selbst zurückgeworfen. Er schlägt sich als Hauslehrer durch und flüchtet in die Religion. Die Begegnung mit Paganini, der sich selbst zum Teufelsgeiger stilisiert, wird für Liszt zum Wendepunkt seiner Karriere. Er beginnt ebenfalls, sich bühnenwirksam in Szene zu setzen, propagiert Solo-Klavierabende, in jener Epoche noch ein Novum, und entwickelt jenen temperamentvollen Gestus beim Spielen, der sein Publikum schmachtend zurücklässt.
Weil er mit Bitten um eine Strähne seines Haares bestürmt wird, soll er sich sogar einen Hund mit langem Fell zugelegt haben, um so den Bedarf an Locken zu stillen. Die Damen liegen ihm zu Füßen, seine eigenen Beziehungen bleiben leidenschaftlich, aber schwierig. Und wieder rettet ihn die Religion. Er komponiert zu Ehren Gottes und zieht sich 1863 in ein Kloster nahe Rom zurück, um die niederen Weihen zu empfangen. Fortan tritt er als Abbé Liszt in der Soutane auf. Er stirbt am 31. Juli 1886 in Bayreuth, wo ihn seine Tochter Cosima, Witwe von Richard Wagner, zu Grabe trägt.
Ein Leben zwischen der Bühne und dem Wunsch nach Privatheit und Kontemplation: eine Form der Zerrissenheit, wie sie die Erinnerungskultur in Raiding hintersinnig nachstellt. Das 2006 direkt neben dem Geburtshaus eröffnete Lisztzentrum, ein puristisch-eleganter Bau mit einem Konzertsaal, bietet Raum für Symposien und das von den Pianisten Eduard und Johannes Kutrowatz geleitete Liszt-Festival. Die dortige Ausstellung präsentiert den Künstler als findigen Geschäftsmann, der Marketingstrategien unserer Tage vorwegnahm, darunter die damals schon begehrten Fan-Artikel: Strähnen seines Haars – oder des Fells seines Hundes –, unter Glas und von einem goldenen Rahmen umschlossen, eine Zigarre, die er zu seinen Lippen geführt hat, oder den Abguss von des Maestros linker Hand. Liszts Kapital: Seine Finger waren, so haben Messungen ergeben, deutlich länger als die seiner Zeitgenossen.
„Wie ungestüm war der Beifall, der ihm entgegenklatschte! Auch Buketts wurden ihm zu Füßen geworfen“, so Heinrich Heine über das Phänomen Liszt. „Es war ein erhabener Anblick, wie der Triumphator mit Seelenruhe die Blumensträuße auf sich regnen ließ. […] So dachte ich, erklärte ich mir die Lisztomanie.“Im Geburtshaus ist davon nichts zu spüren. Die intimen Räumlichkeiten sind mit Exponaten versehen, die entlang der biografischen Stationen angeordnet sind: die Bilder von Liszts Vorfahren, sein Reise-Altar oder der Kragen seiner Soutane.
Ein Hammerflügel aus der Werkstatt von Sébastien Érard dominiert den sparsam gestalteten Hauptraum des Museums. Auf ihm hat Liszt gespielt, als er 1881 anlässlich seines 70. Geburtstags neuerlich jenen Ort aufsuchte, an dem er aufgewachsen war: Seine Verbindung mit Raiding blieb zeitlebens eng.
Das Instrument, gerade erst frisch restauriert, gilt als Prunkstück der Sammlung. Der Deckel ist aufgeschlagen, die hellen Tasten liegen frei. Eine seltsame Stille breitet sich aus. Während draußen im Garten die Vögel zwitschern und zirpen. Die Musiken des Mittelburgenlands: Melodien in Dur und in Moll.