Corona deckt chronische Missstände gnadenlos auf
Bis zum Beginn des Sommers hat niemand gedacht, dass es am Ende so schwierig werden könnte, den Großteil der Bevölkerung vom Sinn einer Coronaimpfung zu überzeugen. Ein SN-Lokalaugenschein in St. Koloman und Krispl, wo die Impfraten in Salzburg am niedrigsten sind, zeigt, wie breit gefächert die Argumente der Impfgegner sind. Persönliche Gesundheitsinteressen und die individuelle Risikoabwägung zählen letztlich wohl immer mehr als die gesamtgesellschaftliche Verantwortung, die jetzt verstärkt eingefordert wird.
Die Pandemie wird jedenfalls erst vorbei sein, wenn eine sogenannte Herdenimmunität erreicht ist. Egal ob durch eine hohe Impfquote oder dadurch, dass der Großteil der Nichtgeimpften an Corona erkrankt ist. Bis dahin werden sich bestehende oder lange unterschätzte Probleme und Missstände weiter verschärfen. Die Coronakrise ist nicht nur auf einen dafür in keiner Weise vorbereiteten und dadurch vielfach überforderten Verwaltungsapparat von der Gemeinde- bis zur Bundesebene geprallt. Je länger wir das Virus nicht im Griff haben, umso deutlicher werden auch grundlegende Schwächen und Versäumnisse im Bereich der Pflege, im Tourismus oder in der Migrationspolitik.
Viele medizinische Laien fragen sich bis heute, wie es sein kann, dass mit jeder Infektionswelle die gesundheitliche Versorgung in den Spitälern ins Wanken kommt und warum nicht in der Krise längst massiv für die Coronapatienten aufgerüstet wurde.
Miss(Zu)stand . . .
Vieles ist auch geschehen, vor allem organisatorisch und in der Zusammenarbeit der Kliniken. Am Ende gibt es den entscheidenden Engpass aber immer bei den Pflegekräften. Je mehr Coronapatienten, je mehr müssen Pflegerinnen und Pfleger von anderen Stationen abgezogen werden. Die fehlen dort dann natürlich und legen den Betrieb zum Teil lahm.
Nun ist der Pflegekräftemangel kein neues Problem. Die Coronakrise macht nur drastisch klar, wie ernst das Problem tatsächlich ist. Auch wenn in Salzburg in der Ausbildung schon Weichenstellungen vor der Pandemie erfolgt sind, sie kommen für die aktuellen Herausforderungen zu spät. Da nützt es nichts, wenn man heuer die Zahl der Ausbildungsplätze deutlich erhöht hat.
Ähnlich wie in der Pflege setzte man auch im Tourismus sehr lange auf billige ausländische Arbeitskräfte. Doch ist das Angebot, das nach dem Fall des Eisernen Vorhangs mehr als üppig war, längst nicht mehr so groß. Wer in Osteuropa unterwegs ist, muss erkennen, wie sehr sich diese Staaten entwickelt haben und inzwischen ihrer Bevölkerung attraktive Arbeitsplätze anbieten können. Zudem sind auch Gastarbeiter heute nicht mehr bereit, zu allen Bedingungen zu arbeiten. Die sogenannte Work-LifeBalance ist für sie genauso wichtig geworden wie für die Einheimischen.
Die Pandemie wirkte auch im Tourismus als Brandbeschleuniger bestehender Missstände. In Salzburg fiel praktisch die gesamte vergangene Wintersaison aus. Nicht alle Unternehmen konnten oder wollten ihre Mitarbeiter mit Kurzarbeit halten. Viele sind zurück nach Hause oder in andere Bereiche abgewandert. Die Arbeitskräftenot war noch nie so groß und vielfach muss man den Betrieb zurückfahren.
Doch noch einmal zum Impfen: Plötzlich stellt man fest, dass man viele Menschen mit Migrationshintergrund mit keiner Impfkampagne erreicht hat. Überraschung? Was gibt es an Initiativen, um Brücken zwischen den Bevölkerungsgruppen zu bauen? Was tut man gegen Barrieren im Kopf und Vorurteile über den jeweils anderen? Sprachkurse sind nicht alles. Benötigten wir tatsächlich die Coronakrise, damit die Versäumnisse in der Integrationspolitik und anderswo erst erdrückend klar werden? Wenn ja, sollte man das als Chance sehen.