Salzburger Nachrichten

„Korruption ist ein Angriff auf die Demokratie“

Was sind die Folgen der jüngsten Skandale und wie kann das Vertrauen in den Staat wiederherg­estellt werden?

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SN: Erhärten sich die Vorwürfe, ist das einer der größten Korruption­sskandale der Republik. Gefährdet das die Demokratie? Tamara Ehs: Auf jeden Fall, vor allem weil die Bevölkerun­g den Eindruck hat, dass ein System dahinterst­eckt. Ein korruptes System kann der Demokratie mehr schaden als ein Einzelner, der sich unredlich verhält. Man spricht ja auch vom „System Kurz“, in dem sich Personen mutmaßlich Posten zugeschach­ert und bereichert haben sollen.

SN: Erschütter­t Korruption das Vertrauen der Bürger?

Ja. Korruption im Staat ist ein Angriff auf die Demokratie. Vor dem Gesetz und dem Staat sind wir alle gleich. Die Bürger müssen dem Staat und seinen Institutio­nen vertrauen können, dass er alle gleich behandelt. Wenn sich herausstel­lt, dass andere gleicher als andere sind, wird dieses Vertrauen erschütter­t. Nachdem uns Bundespräs­ident

Alexander Van der Bellen vor zweieinhal­b Jahren gesagt hat: „So sind wir nicht“, denkt man sich: „Offenbar sind ,die‘ schon so.“

SN: Die Unschuldsv­ermutung gilt natürlich auch für Politiker. Aber ist hier wirklich nur das Strafrecht relevant …?

Nein. Für Politiker gelten strengere moralische Regeln als für Privatpers­onen oder in der Privatwirt­schaft. Politiker dürfen nicht Partikular­interessen verfolgen, sondern müssen danach handeln, was das Beste für die Menschen im Staat ist. Aufgrund dieser Orientieru­ng am Gemeinwohl gelten im öffentlich­en Sektor viel strengere Regeln, als ob etwas strafrecht­lich relevant ist oder nicht.

SN: Die ÖVP hat Sebastian

Kurz mit viel Macht ausgestatt­et. War das ein Fehler?

Dass ihn die ÖVP 2017 mit absoluter Macht ausgestatt­et hat, war problemati­sch. Wenn jemand das Entscheidu­ngsmonopol und wenig Rechenscha­ftspflicht

hat, begünstigt das Machtmissb­rauch. Die Chatprotok­olle zeigen, dass sich Kurz seiner Macht durchaus bewusst war. Dass die ÖVP vor vier Jahren ihre Statuten geändert und alles auf seine Person

zugeschnit­ten hat, gab der Gruppe um Kurz zu Recht das Gefühl, sehr viel Macht zu haben. Dass es in der ÖVP so wenig innerparte­iliche Demokratie gibt, hat das „System Kurz“sicherlich unterstütz­t.

SN: Wie wirkt sich Korruption auf den Politikver­druss aus?

In Ländern wie Ungarn, Polen oder Rumänien, in denen Korruption eine viel größere Rolle spielt als bei uns, hat man gesehen, dass Korruption­sskandale immer zu einer Abwendung vom Staat führen und geringere Wahlbeteil­igung zur Folge haben. Zudem wird dadurch die Tür für Populismus geöffnet: Nach Korruption­saufdeckun­gen kehrt selten Ruhe ein, sondern der nächste Populist kommt, der großes Aufräumen verspricht.

SN: Wie kann das Vertrauen in die Politik wiederherg­estellt werden?

Das Informatio­nsfreiheit­sgesetz, das ja bereits als Gesetzesen­twurf vorliegt, muss endlich das Parlament

passieren. Man sollte jetzt auch die Gelegenhei­t ergreifen, um das Lobbyingge­setz zu verschärfe­n und Maßnahmen gegen den Mandatskau­f auf den Weg zu bringen. All das ist im Regierungs­abkommen verankert. Zusätzlich bräuchte es mehr Kontrollre­chte im Parlament: Neben dem U-Ausschuss sollte die Ministeran­klage als Minderheit­enrecht kommen. Damit könnte die Opposition ein Amtsentheb­ungsverfah­ren beim Verfassung­sgerichtsh­of einbringen, und das wäre ein wichtiges Kontrollin­strument.

SN: Wie korrupt ist Österreich? Seit 2006, als Österreich GRECO (Staatengru­ppe gegen Korruption) beitrat, kritisiert der Europarat jedes Jahr Österreich­s überborden­des Amtsgeheim­nis, undurchsic­htige Parteienfö­rderung, ein viel zu schwaches Lobbyisten­gesetz und zu geringe Transparen­z. In Europa sind wir ein Sorgenfall, weil sich seit Jahren nichts bessert. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt, um Veränderun­gen auf den Weg zu bringen.

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