Que(e)r durch München
Freddie Mercury erlebt ausschweifende Jahre an der Isar. Wie sich der Sound von Queen in dieser Zeit verändert, erzählt eine neue Biografie.
SALZBURG. „I don’t drive Golfs“, sagt Freddie Mercury fassungslos. Partout will er nicht in einem Volkswagen ins Sugar Shack fahren, obwohl Mike Oldfield ihm den Vordersitz anbietet. Später begegnen die beiden britischen Rockstars einander in der Disco wieder. Er habe ein Taxi genommen, erzählt Mercury zerknirscht: „A fucking Opel.“
Es ist nur eine harmlose Anekdote, aber sie zeigt, welche Bedeutung München in den späten 1970er-Jahren für die Musikwelt besitzt. Das Electric Light Orchestra und Led Zeppelin nehmen in den Musicland Studios auf. Als sich Robert Plant dort das Bein bricht, zerrt dessen Manager den Arzt in der Notaufnahme von einem blutüberströmten Motorradfahrer weg und schreit: „Let the fucker die. He’s not important. My guys are important.“
Auch Freddie Mercury kommt auf den Geschmack der Mischung aus bayerischem Lebensgefühl und exzellenten Studiobedingungen. Zwischen 1979 und 1986 entstehen fünf Queen-Alben und Mercurys Solo-Platte im Keller des ArabellaHochhauses, das nach Richard Strauss’ Oper benannt ist und auf den Opernfreund Mercury eine magische Wirkung ausstrahlt. In München entwickelt sich ein völlig neuer Queen-Sound. Der opulente Hardrock der 1970er-Jahre weicht einem tanzbaren Disco-Funk, der auf dem sträflich unterschätzten Album „Hot Space“1982 auf den Punkt gebracht wird.
Wie sich diese Verwandlung ereignet und welche Bedeutung der Clubszene in der Isarstadt zukommt, das erzählt Musikkritiker Nicola Bardola in seiner detail- und assoziationsreichen Biografie „Mercury in München“. Freddie Mercury taucht lustvoll in das queere Nachtleben einer Stadt ein, die in den frühen 1980er-Jahren als Metropole der Gay-Community gilt. Das Pimpernel, der Ochsengarten und viele andere einschlägige Lokale zählen zum Bermudadreieck in Münchens Innenstadt, die im Gegensatz zu New York oder London aber die Fassade der Sauberkeit und Rechtschaffenheit bewahrt. Dieser Gegensatz fasziniert den Queen-Sänger, der sich an der Isar zudem ohne aufdringliche Paparazzi frei bewegen kann.
Bardola lässt zahllose Zeitzeugen zu Wort kommen, die den extrovertierten Rockstar von einer wenig bekannten Seite zeigen: Zurückhaltend, fast scheu sei er privat gewesen, heißt es. Die FassbinderSchauspielerin Barbara Valentin wird zu Mercurys Lebensmensch, eine weitere Langzeitbeziehung unterhält der Sänger zum Wirt Winnie Kirchberger. Wenn Freddie mit seinen Bandkollegen Münchens Nachtlokale unsicher macht, landen sie meist im Sugar Shack. Die legendäre Disco wird zum „Office“der Band. In „Dragon Attack“, einem der groovelastigen Songs aus den Münchner Jahren, setzen Queen der angesagten Disco ein Denkmal: „Take me to the room where the black’s all white / and the white’s all black / take me back to the shack shack“.
Auch „Another One Bites the Dust“aus der Feder von Bassist John Deacon feiert im Sugar Shack seine Premiere. Der neue Queen-Sound soll unter der silbernen Discokugel erstrahlen, die vielfältig berauschten Münchner Partygänger dazu abtanzen. Behilflich ist der Band – besser gesagt deren progressiven Kräften Mercury und Deacon – der Toningenieur Reinhold Mack. Der Wegbegleiter von Giorgio Moroder prägt den neuen Sound der Band – und wird einige Jahre zum fünften Queen-Mitglied. Synthesizer-Klänge treten an die Stelle der bombastischen Gitarren-Arrangements von Brian May, auch Schlagzeuger Roger Taylor sieht sich der Konkurrenz einer Drum Machine ausgesetzt. Kein Wunder, dass es zu Spannungen zwischen den vier Queen-Mitgliedern kommt.
In diesem Punkt wirkt „Mercury in München“wie ein Gegenentwurf zum Film „Bohemian Rhapsody“. Während das Biopic Mercurys Münchner Jahre als düsteren EgoTrip erzählt, an dem die Band zu zerbrechen droht, zeichnet Bardola ein völlig anderes Bild. Bereits vor Mercury veröffentlichen Brian May und Roger Taylor Solo-Platten, und Bardola listet die kontinuierliche Tour- und Aufnahmetätigkeit von Queen in dieser Zeit minutiös auf. Mercury blüht in München auf, hat einen großen Freundeskreis aus Männern, Frauen, Schwulen, Heteros, kurz: einem bunten Haufen, mit dem es sich auch zwei, drei Tage durchfeiern lässt. So what? Immerhin plakatiert die CSU in diesen Jahren „Freiheit statt Sozialismus“. Dass die bayerischen Konservativen freilich eine andere Freiheit meinen, ein gewisser Horst Seehofer fordert, Aids-Kranke in speziellen Heimen zu „konzentrieren“, davon lässt sich die Gay Community nicht beirren. Noch nicht. Denn das HIVVirus fordert in München seine ersten Opfer.
Freddie Mercurys ausschweifende Geburtstagsparty am 5. September 1985 im Travestie-Club Mrs. Henderson wirkt in vielerlei Hinsicht wie der Schlusspunkt einer unbeschwerten Zeit. Das herrlich dekadente Treiben dieser Nacht ist im – vielerorts zensierten – Video zu Freddie Mercurys Solo-Hit „Living on My Own“verewigt. Ob er bereits von seiner Aids-Erkrankung weiß, an der er 1991 sterben wird, bleibt offen. Jedenfalls lässt er sich danach nur mehr sporadisch in München blicken. Dass er dort zuvor sowohl privat als auch musikalisch glückliche Jahre erlebt hat, daran kommt nach der Lektüre dieser Biografie kein Zweifel auf.
„Das war auf Dauer nicht gesund. Trotzdem, die Musik war gut.“