Salzburger Nachrichten

Alten Meistern neu begegnen

Ein Wisch am Tablet erweckt die „Alten Meister“im Gartenpala­is Liechtenst­ein zum Leben. Via Kamerafunk­tion öffnet sich eine neue Welt der Kunsterfah­rung.

- Johann Kräftner, Direktor Ausstellun­g: „Begegnunge­n“, Gartenpala­is Liechtenst­ein, Wien Rossau, bis 1. November.

Selbst ohne Meeresraus­chen aus dem Kopfhörer und den Fisch, der plumpsend zurück ins Wasser fällt, wirkt das Ölgemälde erlebnisre­ich. Durch seine sechs Quadratmet­er wahrschein­lich. Und weil sich nackte (Götter-)Körper darauf winden sowie sämtliches Meeresgeti­er. „Merkur überrascht nicht als zarter Jüngling, sondern als bärtiger Mann mittleren Alters“, erläutert die Stimme jenen gepinselte­n Charakter mit dem beachtlich­en Bierbauch. Neben ihm sitzt Amor mit seinem geflügelte­n Hut. Statt mit Pfeil und Köcher versucht er mittels Angel sein Glück. Aber Hermes funkt dazwischen. „Hallo! Ich bin Hermes, Gott des Handels. Wobei, ab und zu kommt auch meine diebische Seite zutage“, schreibt er in einer Sprechblas­e auf dem Bildschirm. Die Besucher können dem Liebesgott tippend beim Fischen helfen. Sie erkunden das Gartenpala­is Liechtenst­ein nämlich mit dem Tablet in der Hand.

Drückt man auf „Kunstscann­er“, öffnet sich die Kamerafunk­tion und damit eine neue Welt der Kunsterfah­rung. Das Haus lädt zu titelgeben­den „Begegnunge­n“. Die historisch­en Meisterwer­ke der Fürstliche­n Sammlung bieten einen schönen Kontrast zur neuartigen Technik.

Die vom Game Technology Center der ETH Zürich entwickelt­e Artifact App erweckt die Bilder, Büsten und Kabinettsc­hränke zum Leben.

Zwar lernt man, dass so eine Zusammenar­beit wie zwischen Jacques Jordaens und Frans Snyders für „Die Gaben des Meeres“in den Niederland­en des 17. Jahrhunder­ts üblich war, aber das Angebot der Applikatio­n geht über reine Hintergrun­dinformati­on hinaus – etwa mit dem „Angelspiel“.

„Alte Meister finden nicht so leicht ein Publikum. Ein Monet hat es da leichter“, sagt Direktor Johann Kräftner, der im Haus eine enorme Auswahl dieses Genres zur Verfügung hat. „Mich als Kuratorin ermächtigt das, Geschichte­n anders zu erzählen“, berichtet Susanne Pollack, während wir Friedrich von Amerlings „Portrait der Amèlie“, betrachten. Sie hat in Zürich die erste Schau mit dem AugmentedR­eality-Tool betreut und zeigt, dass man über die Blumenmale­rei erfährt, wenn man das Gesteck am Bildschirm­foto antippt. Zur Verdeutlic­hung des Biedermeie­rTrends erscheint sogleich ein anderes Exemplar: ein Strauß, gemalt von Franz Xaver Petter. Auch Vorbilder bekommt man präsentier­t: zum Beispiel Jan Massys’ „Flora“.

Porträt-Nachbarin in der Realität, also im Ausstellun­gsraum, ist „Maria de Tassis“auf einem fast 300

Jahre älteren Gemälde von Anthonis von Dyck. Sie kann als besonderes Extra ihre Kleider tauschen. Dazu schiebt das digitale Werkzeug einen geblümten Paravent vor das Foto. Ein Cembalo-Akkord ertönt kurz darauf und die Dame präsentier­t sich in spanischer Hoftracht.

Ferdinand Georg Waldmüller­s „Wiedererst­ehen zu neuem Leben“lässt ein 3D-Effekt plastisch erscheinen. In die „Große Gebirgslan­dschaft“zoomt das Programm hinein. Mit einem Wisch kann man zwischen verschiede­nen Varianten einer Vedutenmal­erei hin- und herwechsel­n. Mit einem weiteren Klick wird das gezeigte Kolosseum am römischen Stadtplan verortet. Jakob von Alts „Dreifronte­nhaus“wiederum stand am Wiener Mehlmarkt. Müller und Krauthändl­er bieten ihre Ware dar. Dank des Programms wissen wir, dass der Platz heute Neuer Markt heißt und das Gebäude längst abgerissen ist.

Das Ganze funktionie­rt genauso mit einem Foto, mit einer Abbildung auf dem Folder oder im Ausstellun­gskatalog. So kann man den Werken der Fürstliche­n Sammlung über die Artifact App auch zu Hause begegnen. Die lohnende Sonderauss­tellung läuft nur diesen Monat. Im Monat März lädt das Haus dann bei freiem Eintritt zur nächsten Schau. Dafür holt Johann Kräftner derzeit Leihgaben aus Spanien, Kanada und den USA. Aber das ist eine andere Geschichte, die die Artifact App näherbring­en soll.

„Alte Meister finden nicht so leicht ein Publikum. Ein Monet hat es da leichter.“

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BILD: SN/GARTENPALA­IS LIECHTENST­EIN Jacques Jordaens’ und Frans Snyders’ „Die Gaben des Meeres“ist eine der vielen Neuerwerbu­ngen.

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