Alten Meistern neu begegnen
Ein Wisch am Tablet erweckt die „Alten Meister“im Gartenpalais Liechtenstein zum Leben. Via Kamerafunktion öffnet sich eine neue Welt der Kunsterfahrung.
Selbst ohne Meeresrauschen aus dem Kopfhörer und den Fisch, der plumpsend zurück ins Wasser fällt, wirkt das Ölgemälde erlebnisreich. Durch seine sechs Quadratmeter wahrscheinlich. Und weil sich nackte (Götter-)Körper darauf winden sowie sämtliches Meeresgetier. „Merkur überrascht nicht als zarter Jüngling, sondern als bärtiger Mann mittleren Alters“, erläutert die Stimme jenen gepinselten Charakter mit dem beachtlichen Bierbauch. Neben ihm sitzt Amor mit seinem geflügelten Hut. Statt mit Pfeil und Köcher versucht er mittels Angel sein Glück. Aber Hermes funkt dazwischen. „Hallo! Ich bin Hermes, Gott des Handels. Wobei, ab und zu kommt auch meine diebische Seite zutage“, schreibt er in einer Sprechblase auf dem Bildschirm. Die Besucher können dem Liebesgott tippend beim Fischen helfen. Sie erkunden das Gartenpalais Liechtenstein nämlich mit dem Tablet in der Hand.
Drückt man auf „Kunstscanner“, öffnet sich die Kamerafunktion und damit eine neue Welt der Kunsterfahrung. Das Haus lädt zu titelgebenden „Begegnungen“. Die historischen Meisterwerke der Fürstlichen Sammlung bieten einen schönen Kontrast zur neuartigen Technik.
Die vom Game Technology Center der ETH Zürich entwickelte Artifact App erweckt die Bilder, Büsten und Kabinettschränke zum Leben.
Zwar lernt man, dass so eine Zusammenarbeit wie zwischen Jacques Jordaens und Frans Snyders für „Die Gaben des Meeres“in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts üblich war, aber das Angebot der Applikation geht über reine Hintergrundinformation hinaus – etwa mit dem „Angelspiel“.
„Alte Meister finden nicht so leicht ein Publikum. Ein Monet hat es da leichter“, sagt Direktor Johann Kräftner, der im Haus eine enorme Auswahl dieses Genres zur Verfügung hat. „Mich als Kuratorin ermächtigt das, Geschichten anders zu erzählen“, berichtet Susanne Pollack, während wir Friedrich von Amerlings „Portrait der Amèlie“, betrachten. Sie hat in Zürich die erste Schau mit dem AugmentedReality-Tool betreut und zeigt, dass man über die Blumenmalerei erfährt, wenn man das Gesteck am Bildschirmfoto antippt. Zur Verdeutlichung des BiedermeierTrends erscheint sogleich ein anderes Exemplar: ein Strauß, gemalt von Franz Xaver Petter. Auch Vorbilder bekommt man präsentiert: zum Beispiel Jan Massys’ „Flora“.
Porträt-Nachbarin in der Realität, also im Ausstellungsraum, ist „Maria de Tassis“auf einem fast 300
Jahre älteren Gemälde von Anthonis von Dyck. Sie kann als besonderes Extra ihre Kleider tauschen. Dazu schiebt das digitale Werkzeug einen geblümten Paravent vor das Foto. Ein Cembalo-Akkord ertönt kurz darauf und die Dame präsentiert sich in spanischer Hoftracht.
Ferdinand Georg Waldmüllers „Wiedererstehen zu neuem Leben“lässt ein 3D-Effekt plastisch erscheinen. In die „Große Gebirgslandschaft“zoomt das Programm hinein. Mit einem Wisch kann man zwischen verschiedenen Varianten einer Vedutenmalerei hin- und herwechseln. Mit einem weiteren Klick wird das gezeigte Kolosseum am römischen Stadtplan verortet. Jakob von Alts „Dreifrontenhaus“wiederum stand am Wiener Mehlmarkt. Müller und Krauthändler bieten ihre Ware dar. Dank des Programms wissen wir, dass der Platz heute Neuer Markt heißt und das Gebäude längst abgerissen ist.
Das Ganze funktioniert genauso mit einem Foto, mit einer Abbildung auf dem Folder oder im Ausstellungskatalog. So kann man den Werken der Fürstlichen Sammlung über die Artifact App auch zu Hause begegnen. Die lohnende Sonderausstellung läuft nur diesen Monat. Im Monat März lädt das Haus dann bei freiem Eintritt zur nächsten Schau. Dafür holt Johann Kräftner derzeit Leihgaben aus Spanien, Kanada und den USA. Aber das ist eine andere Geschichte, die die Artifact App näherbringen soll.
„Alte Meister finden nicht so leicht ein Publikum. Ein Monet hat es da leichter.“