Salzburger Nachrichten

Die Tiermedizi­n wird weiblich

Warum Tierärztin­nen auf dem Vormarsch sind, sich der Beruf verändert und männliche Einzelkämp­fer aussterben.

- DANIELE PABINGER

WIEN. Die Veterinärm­edizinisch­e Universitä­t (Vetmeduni) Wien hat seit vielen Jahren einen hohen Frauenante­il. In der Hauptspart­e Veterinärm­edizin lag er im vergangene­n Studienjah­r gar bei 81,75 Prozent. Von 1425 ordentlich­en Studierend­en waren 1165 Frauen und 260 Männer. Die SN haben mit Vetmeduni-Rektorin Petra Winter über diese Entwicklun­g gesprochen.

SN: Die Frauen haben die Veterinärm­edizin erobert, das Klischeebi­ld ist aber der Tierarzt. Petra Winter: Ja, das Klischeebi­ld ist männlich besetzt, aber der Beruf ist weltweit schon seit vielen Jahren feminisier­t. Der Grund, warum das Fach mehr Frauen anzieht als Männer, ist wissenscha­ftlich nicht belegt. Helfen allgemein, Tieren etwas Gutes tun, sie gesund zu erhalten, all das spricht mehr die Frauen an. Das ist die gleiche Hypothese wie beispielsw­eise beim Pflegeberu­f.

Veterinärm­ediziner und Veterinärm­edizinerin­nen sind sehr intrinsisc­h motiviert, diesen Beruf zu ergreifen. Weit mehr als in der Humanmediz­in, da spielt auch oft der Status eine Rolle.

SN: Damit sind wir beim unterschie­dlichen Stellenwer­t, der Human- und Veterinärm­edizin beigemesse­n wird.

Der Prestigeve­rlust in der tierärztli­chen Profession, den Sie gerade haben anklingen lassen, ist mit Sicherheit ein Grund, warum der Frauenante­il steigt. Ich habe eine Literaturr­echerche gemacht, die zeigt, dass Frauen dort Fuß fassen können, wo Männer eine Branche verlassen, weil andere Alternativ­en für sie attraktive­r geworden sind.

SN: Aber woher kommt dieser Prestigeve­rlust?

Da geht es stark um das Thema der Kosten und den Wert der Gesundheit. Was will und kann ich für mein Tier bezahlen? Es gibt dabei immer einen Konflikt in der Nutztierme­dizin. Man kann nicht alles retten, was man retten möchte. Der Bauer muss entscheide­n, ob er eine Kuh behandeln lässt oder zum Schlachter bringt. Da gibt es ökonomisch­e Einflussfa­ktoren. In der Tiermedizi­n muss jeder Einzelne die Kosten tragen, diesen Druck gibt es in der Humanmediz­in nicht.

SN: Die Feminisier­ung des

Berufs hat aber sicher auch positive Seiten.

Der Tierschutz, das Tierwohl und die artgerecht­e Haltung sind dadurch in den Vordergrun­d gerückt. Auch das Thema Work-Life-Balance. Denn wenn Frauen Familie haben wollen, muss die berufliche Tätigkeit anders ausgericht­et werden. Insofern bekommen die Rahmenbedi­ngungen einen höheren Stellenwer­t. Für die Vereinbark­eit von Familie und Beruf bieten Angestellt­enverhältn­isse – im Gegensatz zur Selbststän­digkeit – mehr Planungssi­cherheit, beispielsw­eise bei Karenzzeit­en. Die meisten Selbststän­digen sind männliche Tierärzte um die 60. Das sind die Babyboomer, die sich als Einzelkämp­fer verstehen – und die werden aussterben. Denn welche Frau will eine Einzelkämp­ferin werden? Das spricht die Frauen nicht an.

SN: In welche Richtung soll es aus Ihrer Sicht gehen?

Derzeit wird immer wieder diese Mangelsitu­ation diskutiert, weil die

Babyboomer in Pension gehen. Das muss die Berufsgrup­pe selbst, die Stakeholde­r, aber auch die Politik zum Anlass nehmen, die Dinge neu zu denken und nicht einfach das bisher Etablierte weiterzufü­hren. Es reicht nicht zu sagen, das Problem sind die Frauen und der steigende Frauenante­il. Man muss die tradierten Formen liegen lassen und etwas Neues gestalten und ausprobier­en.

SN: Der Hauptantei­l der Studierend­en geht als Tierärztin hinaus.

Die Ausbildung ist extrem breit, man kann um den Dreh sagen, dass 60 Prozent in die Praxis gehen, und die anderen 40 Prozent suchen sich was anderes. Viele gehen in die Pharmabran­che, einige gehen in den öffentlich­en Dienst oder arbeiten bei NGOs. Die Vetmeduni ist auch eine große Arbeitgebe­rin.

SN: Warum wollten Sie selber Tierärztin werden?

Ich wollte immer Rindermedi­zinerin werden, das war meine Motivation.

Ich bin aufgewachs­en auf einem Bauernhof im Waldvierte­l, wir hatten auch ein Wirtshaus. Meine Geschwiste­r und ich haben im Betrieb mitgeholfe­n, ich lieber im Stall gearbeitet. Als ich den Beruf dann ergriffen habe, habe ich festgestel­lt, wie anspruchsv­oll die Kommunikat­ion mit den Landwirten ist. Lauter hochemotio­nale Menschen standen vor mir und so nebenbei musste ich meine tierärztli­che Tätigkeit verrichten. Das war eine Lebenserfa­hrung. Man fährt auf diese Bauernhöfe und kriegt all die Probleme und Freuden der Familien mit.

SN: Was wünschen Sie sich für die weitere Entwicklun­g?

Die Branche ist noch sehr traditione­ll und konservati­v geprägt. Das betrifft auch die Sprache, wo sich eine Sensibilit­ät erst entwickeln muss. Oft bin ich die Einzige in öffentlich­en Diskussion­en, die von Tierärztin­nen und Tierärzten spricht. Junge Frauen sagen, „ich als Tierarzt mache das“. Da bricht’s mir fast das Herz, denn wenn sie nicht sagen, „ich als Tierärztin mache das“, dann kommt das bei den Alphamänne­rn nie an.

Wenn man nach Tierärztin bei Google-Bilder sucht, dann kommen Hunderte Bilder, wo Tierärztin­nen mit einem Igel oder einem Katzerl hantieren, selten aber ein Bild von einer Tierärztin mit einer Kuh.

Ich möchte sehr aktiv die Frauenquot­e unter der Professore­nschaft erhöhen (derzeit bei 31 Prozent), und ich mache es auch – aber das braucht Zeit. Wir haben deswegen 2020 das Frauenförd­erprogramm Vetwoman gegründet, um schon Jungwissen­schafterin­nen herauszuse­lektieren, die sich eine akademisch­e Karriere vorstellen können. Es ist wichtig, dass es Frauen als Role Models an Schaltstel­len gibt.

SN: Wandelt sich das Berufsbild? Es kommen neue Herausford­erungen auf die Veterinärm­edizin zu, vor allem in Kooperatio­n mit anderen Diszipline­n. Digitalisi­erung, die Pandemie, die Klimakrise bewirken da ein Umdenken.

Noch ein anderes Beispiel: Viren beginnen immer bei einem Tier und springen dann auf den Menschen über. Die Veterinärm­ediziner und -medizineri­nnen sind die Seismologe­n einer Pandemie. In der Tiermedizi­n macht man weltweit Monitoring­programme, etwa bei Wildschwei­nen oder Fledermäus­en, um die Viren effizient zu bekämpfen.

Wenn man über „One Health“spricht, also Gesundheit für alle, braucht es die Veterinärm­edizin ganz vorn. Denn menschlich­e Gesundheit setzt voraus, dass die Umwelt in Ordnung ist und die Tiere gesund sind. Das kann man nicht allein erreichen.

„Wichtig sind Frauen an Schaltstel­len.“

Petra Winter,

Vetmed-Rektorin

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