Die Tiermedizin wird weiblich
Warum Tierärztinnen auf dem Vormarsch sind, sich der Beruf verändert und männliche Einzelkämpfer aussterben.
WIEN. Die Veterinärmedizinische Universität (Vetmeduni) Wien hat seit vielen Jahren einen hohen Frauenanteil. In der Hauptsparte Veterinärmedizin lag er im vergangenen Studienjahr gar bei 81,75 Prozent. Von 1425 ordentlichen Studierenden waren 1165 Frauen und 260 Männer. Die SN haben mit Vetmeduni-Rektorin Petra Winter über diese Entwicklung gesprochen.
SN: Die Frauen haben die Veterinärmedizin erobert, das Klischeebild ist aber der Tierarzt. Petra Winter: Ja, das Klischeebild ist männlich besetzt, aber der Beruf ist weltweit schon seit vielen Jahren feminisiert. Der Grund, warum das Fach mehr Frauen anzieht als Männer, ist wissenschaftlich nicht belegt. Helfen allgemein, Tieren etwas Gutes tun, sie gesund zu erhalten, all das spricht mehr die Frauen an. Das ist die gleiche Hypothese wie beispielsweise beim Pflegeberuf.
Veterinärmediziner und Veterinärmedizinerinnen sind sehr intrinsisch motiviert, diesen Beruf zu ergreifen. Weit mehr als in der Humanmedizin, da spielt auch oft der Status eine Rolle.
SN: Damit sind wir beim unterschiedlichen Stellenwert, der Human- und Veterinärmedizin beigemessen wird.
Der Prestigeverlust in der tierärztlichen Profession, den Sie gerade haben anklingen lassen, ist mit Sicherheit ein Grund, warum der Frauenanteil steigt. Ich habe eine Literaturrecherche gemacht, die zeigt, dass Frauen dort Fuß fassen können, wo Männer eine Branche verlassen, weil andere Alternativen für sie attraktiver geworden sind.
SN: Aber woher kommt dieser Prestigeverlust?
Da geht es stark um das Thema der Kosten und den Wert der Gesundheit. Was will und kann ich für mein Tier bezahlen? Es gibt dabei immer einen Konflikt in der Nutztiermedizin. Man kann nicht alles retten, was man retten möchte. Der Bauer muss entscheiden, ob er eine Kuh behandeln lässt oder zum Schlachter bringt. Da gibt es ökonomische Einflussfaktoren. In der Tiermedizin muss jeder Einzelne die Kosten tragen, diesen Druck gibt es in der Humanmedizin nicht.
SN: Die Feminisierung des
Berufs hat aber sicher auch positive Seiten.
Der Tierschutz, das Tierwohl und die artgerechte Haltung sind dadurch in den Vordergrund gerückt. Auch das Thema Work-Life-Balance. Denn wenn Frauen Familie haben wollen, muss die berufliche Tätigkeit anders ausgerichtet werden. Insofern bekommen die Rahmenbedingungen einen höheren Stellenwert. Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bieten Angestelltenverhältnisse – im Gegensatz zur Selbstständigkeit – mehr Planungssicherheit, beispielsweise bei Karenzzeiten. Die meisten Selbstständigen sind männliche Tierärzte um die 60. Das sind die Babyboomer, die sich als Einzelkämpfer verstehen – und die werden aussterben. Denn welche Frau will eine Einzelkämpferin werden? Das spricht die Frauen nicht an.
SN: In welche Richtung soll es aus Ihrer Sicht gehen?
Derzeit wird immer wieder diese Mangelsituation diskutiert, weil die
Babyboomer in Pension gehen. Das muss die Berufsgruppe selbst, die Stakeholder, aber auch die Politik zum Anlass nehmen, die Dinge neu zu denken und nicht einfach das bisher Etablierte weiterzuführen. Es reicht nicht zu sagen, das Problem sind die Frauen und der steigende Frauenanteil. Man muss die tradierten Formen liegen lassen und etwas Neues gestalten und ausprobieren.
SN: Der Hauptanteil der Studierenden geht als Tierärztin hinaus.
Die Ausbildung ist extrem breit, man kann um den Dreh sagen, dass 60 Prozent in die Praxis gehen, und die anderen 40 Prozent suchen sich was anderes. Viele gehen in die Pharmabranche, einige gehen in den öffentlichen Dienst oder arbeiten bei NGOs. Die Vetmeduni ist auch eine große Arbeitgeberin.
SN: Warum wollten Sie selber Tierärztin werden?
Ich wollte immer Rindermedizinerin werden, das war meine Motivation.
Ich bin aufgewachsen auf einem Bauernhof im Waldviertel, wir hatten auch ein Wirtshaus. Meine Geschwister und ich haben im Betrieb mitgeholfen, ich lieber im Stall gearbeitet. Als ich den Beruf dann ergriffen habe, habe ich festgestellt, wie anspruchsvoll die Kommunikation mit den Landwirten ist. Lauter hochemotionale Menschen standen vor mir und so nebenbei musste ich meine tierärztliche Tätigkeit verrichten. Das war eine Lebenserfahrung. Man fährt auf diese Bauernhöfe und kriegt all die Probleme und Freuden der Familien mit.
SN: Was wünschen Sie sich für die weitere Entwicklung?
Die Branche ist noch sehr traditionell und konservativ geprägt. Das betrifft auch die Sprache, wo sich eine Sensibilität erst entwickeln muss. Oft bin ich die Einzige in öffentlichen Diskussionen, die von Tierärztinnen und Tierärzten spricht. Junge Frauen sagen, „ich als Tierarzt mache das“. Da bricht’s mir fast das Herz, denn wenn sie nicht sagen, „ich als Tierärztin mache das“, dann kommt das bei den Alphamännern nie an.
Wenn man nach Tierärztin bei Google-Bilder sucht, dann kommen Hunderte Bilder, wo Tierärztinnen mit einem Igel oder einem Katzerl hantieren, selten aber ein Bild von einer Tierärztin mit einer Kuh.
Ich möchte sehr aktiv die Frauenquote unter der Professorenschaft erhöhen (derzeit bei 31 Prozent), und ich mache es auch – aber das braucht Zeit. Wir haben deswegen 2020 das Frauenförderprogramm Vetwoman gegründet, um schon Jungwissenschafterinnen herauszuselektieren, die sich eine akademische Karriere vorstellen können. Es ist wichtig, dass es Frauen als Role Models an Schaltstellen gibt.
SN: Wandelt sich das Berufsbild? Es kommen neue Herausforderungen auf die Veterinärmedizin zu, vor allem in Kooperation mit anderen Disziplinen. Digitalisierung, die Pandemie, die Klimakrise bewirken da ein Umdenken.
Noch ein anderes Beispiel: Viren beginnen immer bei einem Tier und springen dann auf den Menschen über. Die Veterinärmediziner und -medizinerinnen sind die Seismologen einer Pandemie. In der Tiermedizin macht man weltweit Monitoringprogramme, etwa bei Wildschweinen oder Fledermäusen, um die Viren effizient zu bekämpfen.
Wenn man über „One Health“spricht, also Gesundheit für alle, braucht es die Veterinärmedizin ganz vorn. Denn menschliche Gesundheit setzt voraus, dass die Umwelt in Ordnung ist und die Tiere gesund sind. Das kann man nicht allein erreichen.
„Wichtig sind Frauen an Schaltstellen.“
Petra Winter,
Vetmed-Rektorin