Wie unsere Freiheit missbraucht wird Vernunft ist die Basis: Das lehrt die Aufklärung
Coronapopulisten treiben mitten in der Pandemie ein gefährliches Spiel. Was sie Freiheit nennen, ist schlicht verantwortungslos.
Freiheit ist ein großes Wort, ein politisches Ideal seit Jahrhunderten. Für Generationen war die Freiheit ein lebenslanger Traum, für den sie alles gaben. Einer dieser Idealisten war Robert Blum, der große Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie, der an einem Novembermorgen 1848, nach gescheiterter Revolution, in Wien hingerichtet wurde. Ein anderer war der weniger bekannte, katholisch motivierte Widerstandskämpfer Hans Graber aus Salzburg, der Hitlers Angriffskrieg ablehnte und als Soldat Flugblätter verteilte. Er wurde, erst 25 Jahre alt, exekutiert. Oder der ehemalige Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger, der 1965 bei einer Demo gegen einen Nazi-Professor in Wien von einem rechtsextremen Studenten so schwer verletzt wurde, dass er wenig später verstarb.
Heute ist wieder viel von der Freiheit die Rede. Nur dass diejenigen, die den Begriff jetzt im Mund führen, etwas gänzlich anderes meinen als all die Freiheits- und Widerstandskämpfer/-innen seit 1848, als die Menschen gegen den absolutistischen Staat aufbegehrten. Für die sogenannte Liste „Menschen, Freiheit, Grundrechte“, die jetzt auch in Salzburg auf Stimmenfang geht, besteht die Freiheit darin, die dringend nötigen Coronaschutzmaßnahmen ins Lächerliche zu ziehen und von einer „Treibjagd“auf Ungeimpfte zu fantasieren, während die Freiheitliche Partei dem Virus in Don-Quijote-Manier mit Vitamin D, Zink und Misstrauensanträgen entgegentreten will. In diesem gefährlichen politischen Spiel mit den Ängsten und Emotionen impfskeptischer Menschen wurde aus der durch und durch positiv besetzten Freiheit ein fragwürdiger Kampfbegriff: Nicht Autokraten und Faschisten sind die Feindbilder der neuen „Freiheitskämpfer“. Nein, ihre Feinde sind eine Vliesmaske und ein schützender Stich in den Oberarm. Es ist ein „Freiheitskampf“, der mit falschen Zahlen und absurden Behauptungen geführt wird und der wie Hohn wirkt aus Sicht des überlasteten Ärzte- und Pflegepersonals, das alles gibt, um den Kollaps der Spitäler zu verhindern. Und der wie Hohn klingt aus Sicht der armen Länder dieser Welt, die noch immer auf Impfdosen warten, um ein für viele tödliches Virus in den Griff zu kriegen.
Freiheit – damit war ursprünglich die Freiheit vor dem Feudalstaat gemeint, der einst tatsächlich übermächtig war. Mit dem Freiheitsgedanken verbunden waren aber von Beginn an Einschränkungen. Freiheit konnte und kann nie absolut sein – sonst würden wir uns in einer Chaos-Welt wiederfinden, in der jeder tut, was er will, und wo jeder jedem ein „Wolf“ist, wie es der Philosoph Thomas Hobbes formulierte. Geben kann es Freiheit auch nur, so erklärten es die Aufklärer im 18. Jahrhundert, wenn vernünftiges Denken die Basis bildet – und sie auch als moralische Pflicht verstanden wird, die darin besteht, bei jedem Tun auch an die Mitmenschen zu denken.
Aber, wenden Kritiker ein, es müsse doch auch die Freiheit geben, unvernünftig zu handeln, sich selbst zu schaden, zu rauchen, zu trinken. Das mag stimmen – nur gilt eben auch das nur, solange es den Einzelnen betrifft. Wie viel Konfliktstoff darin für die Gesellschaft stecken kann, zeigte schon der Streit um das Rauchverbot in Lokalen, und es zeigt sich erst recht, wenn die Impfskepsis und Impfverweigerung einer Minderheit das Leben aller einzuschränken droht.
Freiheit heißt also nicht, dass es keine Regeln gibt. Die individuelle Freiheit endet vielmehr dort, wo sie zur Gefahr für andere wird, wo sie ganze Regionen in den Lockdown zwingt, die Gesundheitsversorgung gefährdet, ganze Wirtschaftszweige wie den Tourismus bedroht. Folgerichtig kennt auch das Verfassungsrecht keine zügellose Freiheit: Weil diese nur denkbar ist, wenn der Einzelne eingeschränkt wird, gibt es Tempo 50 im Ortsgebiet, Betretungsverbote für prügelnde Ehemänner und Bauverbote im Naturschutzgebiet. Die viel zitierten Grundrechte wie das Recht auf persönliche Freiheit sind nicht schrankenlos gültig. Sie müssen immer wieder abgewogen werden gegen die Interessen der Allgemeinheit. Die Entscheidung darüber liegt bei den Verfassungsrichtern, nicht bei politischen Schreihälsen.
Zur Freiheit des Einzelnen gehört letztlich auch ein Mindestmaß an Solidarität. Zu Beginn der Pandemie war sie im ganzen Land spürbar. Es wäre an der Zeit, sich wieder darauf zu besinnen.