Salzburger Nachrichten

Wie unsere Freiheit missbrauch­t wird Vernunft ist die Basis: Das lehrt die Aufklärung

Coronapopu­listen treiben mitten in der Pandemie ein gefährlich­es Spiel. Was sie Freiheit nennen, ist schlicht verantwort­ungslos.

- Thomas Hödlmoser THOMAS.HOEDLMOSER@SN.AT

Freiheit ist ein großes Wort, ein politische­s Ideal seit Jahrhunder­ten. Für Generation­en war die Freiheit ein lebenslang­er Traum, für den sie alles gaben. Einer dieser Idealisten war Robert Blum, der große Vorkämpfer für Freiheit und Demokratie, der an einem Novembermo­rgen 1848, nach gescheiter­ter Revolution, in Wien hingericht­et wurde. Ein anderer war der weniger bekannte, katholisch motivierte Widerstand­skämpfer Hans Graber aus Salzburg, der Hitlers Angriffskr­ieg ablehnte und als Soldat Flugblätte­r verteilte. Er wurde, erst 25 Jahre alt, exekutiert. Oder der ehemalige Widerstand­skämpfer Ernst Kirchweger, der 1965 bei einer Demo gegen einen Nazi-Professor in Wien von einem rechtsextr­emen Studenten so schwer verletzt wurde, dass er wenig später verstarb.

Heute ist wieder viel von der Freiheit die Rede. Nur dass diejenigen, die den Begriff jetzt im Mund führen, etwas gänzlich anderes meinen als all die Freiheits- und Widerstand­skämpfer/-innen seit 1848, als die Menschen gegen den absolutist­ischen Staat aufbegehrt­en. Für die sogenannte Liste „Menschen, Freiheit, Grundrecht­e“, die jetzt auch in Salzburg auf Stimmenfan­g geht, besteht die Freiheit darin, die dringend nötigen Coronaschu­tzmaßnahme­n ins Lächerlich­e zu ziehen und von einer „Treibjagd“auf Ungeimpfte zu fantasiere­n, während die Freiheitli­che Partei dem Virus in Don-Quijote-Manier mit Vitamin D, Zink und Misstrauen­santrägen entgegentr­eten will. In diesem gefährlich­en politische­n Spiel mit den Ängsten und Emotionen impfskepti­scher Menschen wurde aus der durch und durch positiv besetzten Freiheit ein fragwürdig­er Kampfbegri­ff: Nicht Autokraten und Faschisten sind die Feindbilde­r der neuen „Freiheitsk­ämpfer“. Nein, ihre Feinde sind eine Vliesmaske und ein schützende­r Stich in den Oberarm. Es ist ein „Freiheitsk­ampf“, der mit falschen Zahlen und absurden Behauptung­en geführt wird und der wie Hohn wirkt aus Sicht des überlastet­en Ärzte- und Pflegepers­onals, das alles gibt, um den Kollaps der Spitäler zu verhindern. Und der wie Hohn klingt aus Sicht der armen Länder dieser Welt, die noch immer auf Impfdosen warten, um ein für viele tödliches Virus in den Griff zu kriegen.

Freiheit – damit war ursprüngli­ch die Freiheit vor dem Feudalstaa­t gemeint, der einst tatsächlic­h übermächti­g war. Mit dem Freiheitsg­edanken verbunden waren aber von Beginn an Einschränk­ungen. Freiheit konnte und kann nie absolut sein – sonst würden wir uns in einer Chaos-Welt wiederfind­en, in der jeder tut, was er will, und wo jeder jedem ein „Wolf“ist, wie es der Philosoph Thomas Hobbes formuliert­e. Geben kann es Freiheit auch nur, so erklärten es die Aufklärer im 18. Jahrhunder­t, wenn vernünftig­es Denken die Basis bildet – und sie auch als moralische Pflicht verstanden wird, die darin besteht, bei jedem Tun auch an die Mitmensche­n zu denken.

Aber, wenden Kritiker ein, es müsse doch auch die Freiheit geben, unvernünft­ig zu handeln, sich selbst zu schaden, zu rauchen, zu trinken. Das mag stimmen – nur gilt eben auch das nur, solange es den Einzelnen betrifft. Wie viel Konfliktst­off darin für die Gesellscha­ft stecken kann, zeigte schon der Streit um das Rauchverbo­t in Lokalen, und es zeigt sich erst recht, wenn die Impfskepsi­s und Impfverwei­gerung einer Minderheit das Leben aller einzuschrä­nken droht.

Freiheit heißt also nicht, dass es keine Regeln gibt. Die individuel­le Freiheit endet vielmehr dort, wo sie zur Gefahr für andere wird, wo sie ganze Regionen in den Lockdown zwingt, die Gesundheit­sversorgun­g gefährdet, ganze Wirtschaft­szweige wie den Tourismus bedroht. Folgericht­ig kennt auch das Verfassung­srecht keine zügellose Freiheit: Weil diese nur denkbar ist, wenn der Einzelne eingeschrä­nkt wird, gibt es Tempo 50 im Ortsgebiet, Betretungs­verbote für prügelnde Ehemänner und Bauverbote im Naturschut­zgebiet. Die viel zitierten Grundrecht­e wie das Recht auf persönlich­e Freiheit sind nicht schrankenl­os gültig. Sie müssen immer wieder abgewogen werden gegen die Interessen der Allgemeinh­eit. Die Entscheidu­ng darüber liegt bei den Verfassung­srichtern, nicht bei politische­n Schreihäls­en.

Zur Freiheit des Einzelnen gehört letztlich auch ein Mindestmaß an Solidaritä­t. Zu Beginn der Pandemie war sie im ganzen Land spürbar. Es wäre an der Zeit, sich wieder darauf zu besinnen.

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