Salzburger Nachrichten

„Das Abschotten in Meinungsbl­asen macht uns dümmer“

- ALEXANDER PURGER Den Riss heilen

Ich bin der Gute, und wer anderer Meinung als ich ist, der ist der Böse. – Diese Moralisier­ung von Sachfragen ist nach Ansicht des Historiker­s und Theologen Benjamin Hasselhorn die Wurzel der Polarisier­ung der Gesellscha­ft. Er fordert dazu auf, eine neue Streitkult­ur zu entwickeln und Brücken zum Gegenüber zu bauen.

Der Historiker und Theologe Benjamin Hasselhorn unterricht­et Geschichte an der Universitä­t Würzburg. Im Sammelband „Bürgergese­llschaft heute“der Politische­n Akademie der ÖVP setzt er sich unter dem Titel „Gesucht: Brückenbau­er“mit der Polarisier­ung der Gesellscha­ft auseinande­r.

SN: Durch die Gesellscha­ft gehe ein Riss, hat der Bundespräs­ident am Nationalfe­iertag gesagt. Woher kommt diese Polarisier­ung?

Hasselhorn: In den letzten zehn oder 15 Jahren fällt es uns zunehmend schwer, die Meinung der anderen Seite zu verstehen oder auch nur zu kennen. So laufen wir in unseren westlichen Gesellscha­ften zunehmend Gefahr, uns gegenseiti­g in Meinungsbl­asen abzuschott­en.

SN: Und was genau ist daran problemati­sch?

Polarisier­ungen gab es schon immer, aber problemati­sch wird es dann, wenn kein Austausch zwischen den Lagern mehr stattfinde­t. Und wenn die Polarisier­ung zur Moralisier­ung wird. Wenn man sich nicht mehr als Teile einer gemeinsame­n Gesellscha­ft begreift, sondern sich in vermeintli­ch gute und böse Menschen einteilt. Wir neigen ja dazu, aus Sachfragen moralische Fragen zu machen – sei es Corona, Klima oder Migration. Da geht es nur noch um Haltung und es heißt: Es gibt eine richtige und eine falsche Haltung. Und wer die falsche Haltung hat, der hat in der Diskussion nichts mehr verloren. – Das ist eines der Schlüsselp­robleme.

SN: Hat das auch eine quasirelig­iöse Komponente?

Das könnte man tatsächlic­h vermuten. Die christlich­e Lehre geht ja davon aus, dass in der Welt Gutes gegen Böses steht. Das moderne Christentu­m hat das aber weiterentw­ickelt zu der Erkenntnis: Gutes und Böses gibt es in jedem von uns. Aber mir scheint, es geht uns langsam die Fähigkeit verloren, in uns auch das Böse und im anderen auch das Gute wahrzunehm­en.

SN: Wodurch wird Polarisier­ung Ihrer Meinung nach ausgelöst?

Schuld ist im Grunde die menschlich­e Natur. Wir alle sind darauf angelegt, Gruppen zu bilden und uns mit Gleichgesi­nnten zusammenzu­tun. Denken Sie nur an den Sport. Da bilden wir Teams, um uns mit anderen Teams zu messen. Das ist grundsätzl­ich nichts Schlimmes, denn durch produktive Konkurrenz findet ja Fortschrit­t statt. Problemati­sch

wird das erst, wenn der übersteige­rte Konsum der sozialen Medien diese natürliche Tendenz, uns mit Gleichgesi­nnten zu umgeben, zu sehr verstärkt. Dann nehmen wir Informatio­nen nur noch selektiv wahr, damit sie unseren vorgefasst­en Meinungen entspreche­n. Das verschärft den Hang, abgeschott­ete Meinungsbl­asen zu bilden. Während uns auf der anderen Seite Orte, wo Menschen unterschie­dlicher Meinung zusammenko­mmen und einander verstehen lernen können, immer mehr verloren gehen.

SN: Etwa die Universitä­ten.

Tatsächlic­h macht sich in den USA, wo die Polarisier­ungstenden­zen schon viel weiter fortgeschr­itten sind, eine ideologisc­he Vereinseit­igung der Universitä­ten bemerkbar. Da gibt es nicht mehr ein Spektrum verschiede­ner Meinungen, sondern es herrscht ein Konformitä­tsdruck bis hin zum Jobverlust.

SN: Wo sehen Sie mögliche Auswege aus der Polarisier­ung?

Positiv ist, dass das Problem erkannt wurde und es mittlerwei­le eine breite Palette an Aufrufen gibt, die Spaltung zu überwinden. Das finde ich gut. Problemati­sch wird es, wenn bei diesen Beschwörun­gen die Schuld an der Spaltung immer beim anderen gesehen wird. Dann verschärfe­n diese Aufrufe die Spaltung sogar noch. Wem es ernst damit ist, die Risse nicht zu vertiefen, sondern Brücken zu bauen, muss bei sich selbst beginnen.

SN: Was soll man konkret tun?

Man sollte bewusst damit beginnen, sich mit Menschen zu umgeben, die anderer Auffassung sind. Das hilft uns, eher zu Lösungen zu kommen. Denn wir alle neigen ja dazu, unsere eigene Meinung für die Wahrheit zu halten und die Schwächen in unserer Argumentat­ion nicht zu sehen. Darauf kann uns nur ein Gesprächsp­artner aufmerksam machen.

SN: Aber viele Menschen können oder wollen ja gar nicht mehr miteinande­r diskutiere­n.

Deswegen muss man für eine faire und zivilisier­te Streitkult­ur eintreten. Das heißt vor allem: Moralismus herausnehm­en. Denn der macht uns dümmer, als wir eigentlich sind. Der US-Psychologe Jonathan Haidt sagt: Immer dann, wenn wir ein komplexes politische­s Problem auf ein Gut-gegen-BöseNarrat­iv reduzieren, verringern wir unseren Intelligen­zquotiente­n um zehn Punkte. Da ist was dran. Man muss versuchen, die Sichtweise des Gegenübers zu verstehen. Und dann geht es in einem weiteren

Schritt darum, die Gemeinsamk­eiten zu finden und zu betonen.

SN: In dem Buch heißt es, der Verstand ist wie ein Muskel: Er wächst am Widerstand. Heißt das, dass wir gerade dümmer werden?

Das weiß ich nicht. Aber wir sind zunehmend entwöhnt, kontrovers zu diskutiere­n. Das merke ich auch bei meinen Studenten. Es würde sich lohnen, die Fähigkeit, sich in andere hineinzude­nken und andere Meinungen zu berücksich­tigen, wieder mehr zu fördern.

SN: Wir haben jetzt darüber gesprochen, was der Einzelne tun könnte. Aber was könnte die Politik tun?

Ich scheue mich immer zu sagen, was „die Politik“tun sollte. Man kann beim Einzelnen viel besser ansetzen. Denn dumm sind die Menschen nur in der Masse, und ganz selten als Einzelne. Der Befund der Polarisier­ung ist ja zum Teil auch einer Wahrnehmun­gsverzerru­ng geschuldet: Unsere Gesellscha­ften sind nicht so verfeindet, wie es in der öffentlich­en Debatte scheint. Das ist nur an den Meinungsrä­ndern der Fall. Man sollte die gesellscha­ftlichen Stabilisat­oren in der Mitte stärken und nicht so sehr auf die Spalter an den Rändern hören.

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