Salzburger Nachrichten

Kein Stimmenfan­g auf Kosten der Gesundheit

Die Covidpolit­ik lässt sich zu sehr von taktischen Überlegung­en leiten. Gerade die haben in einer Krise nichts verloren.

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Der Lockdown für Menschen, die noch nicht geimpft sind, ist umstritten, er kommt aber nicht so überrasche­nd, wie manche jetzt tun. Die Regierung hat ihn bereits am 23. Oktober in ihrem Fünf-Stufen-Plan für den Fall angekündig­t, dass sich die Lage in den Spitälern und Intensivst­ationen nicht entspannt, sondern weiter verschärft. Der Fall ist jetzt eingetrete­n.

Medizineri­nnen und Mediziner fürchten, dass diese Notbremsun­g nicht mehr ausreicht, und raten zu schärferen Maßnahmen. Dazu konnten sich die Vertreter von Bund und Ländern nicht durchringe­n. Sie bleiben bei der bisherigen Linie, Maßnahmen erst dann zu ergreifen, wenn sie nicht mehr zu verhindern sind. Daher ist es möglich, dass die Treppe der Pandemiebe­kämpfung schon bald um eine sechste Stufe aufgestock­t werden muss: Lockdown für alle.

Stärker denn je spürt man derzeit, dass unser gewähltes Führungspe­rsonal auch von parteipoli­tischen Überlegung­en geleitet wird. Entscheidu­ngen werden getroffen oder eben nicht, weil sie sich so oder so auf die Wählerguns­t auswirken könnten.

Man wird das Gefühl nicht los, dass nicht ausschließ­lich die erfolgreic­he Pandemiebe­kämpfung das Handeln bestimmt, sondern immer auch dessen mögliche Auswirkung­en in den nächsten Umfragen und möglichen Neuwahlen. Das gilt für die bisher zaudernde

Regierung, für einzelne Landeshaup­tleute, aber auch für Teile der Opposition, allen voran die FPÖ. In einer Krise, die alle Bürgerinne­n und Bürger betrifft, hat parteitakt­isches Kalkül nichts verloren. Stimmenfan­g auf Kosten der Gesundheit ist eine Schande.

Der Wiener SPÖ-Bürgermeis­ter Michael Ludwig ist in diesen Tagen eine der wenigen rühmlichen Ausnahmen. Er pfeift sich nichts um mögliche Sympathiev­erluste, sondern setzt auf Empfehlung der Wissenscha­ft Maßnahmen um. Selbst wenn sie wehtun. Diese Haltung wird ihm auf Dauer politisch nützen, nicht schaden.

Der überwiegen­de Teil der Bevölkerun­g in Österreich trägt die Covidmaßna­hmen von Beginn an mit. Egal ob Maske, Ausgangsbe­schränkung­en, Abstand, Hygiene oder eben die Impfung, diese Menschen machen aus medizinisc­her Sicht vieles richtig. Sie sind die übergroße Mehrheit. Sie sind für die jetzige Situation ganz sicher nicht verantwort­lich. Und sie sind deshalb zu Recht verärgert über die bisherige von Vorsicht und Rücksicht geprägte Politik. Doch wie so oft schweigt die Mehrheit. Stattdesse­n erwecken die Kritiker mit großer Lautstärke den Eindruck, sie seien in der Überzahl.

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