Salzburger Nachrichten

wird zum Knackpunkt

Verfassung­srechtlich könnte der Lockdown für Ungeimpfte zum Drahtseila­kt werden – nämlich dann, wenn sich keiner dran hält.

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Verfassung­s- und Medizinrec­htsexperte Karl Stöger von der Universitä­t Wien ist skeptisch, ob die neuen Maßnahmen greifen. Wenn nicht, „muss es alle treffen“, sagt er.

SN: Ist ein Lockdown für rund zwei Millionen Ungeimpfte im Land rechtlich gedeckt?

Karl Stöger: Das hängt maßgeblich von der medizinisc­hen Einschätzu­ng ab und die ist düster. Die Frage ist: Sind die 2G-Maßnahmen österreich­weit ausreichen­d oder muss man mehr tun? Und wenn man mehr tun muss – und so schaut es aus –, ist der Lockdown für Ungeimpfte ausreichen­d? Das gilt besonders für Oberösterr­eich und Salzburg, wo die Intensivst­ationen bereits überlastet sind. Da muss man schon fragen, was man dagegen macht, dass sich Geimpfte nicht noch stärker anstecken. Sie sind deutlich weniger am Infektions­geschehen beteiligt, aber bei sehr hohen Zahlen spielen sie auch eine Rolle. Also: Solange ich sagen kann, Differenzi­erung hat medizinisc­h Sinn, kann ich Geimpfte und Ungeimpfte ungleich behandeln. Aber wenn ich die Geimpften aus der Rechnung nicht mehr heraushalt­en kann, muss ich auch für sie die Beschränku­ngen machen.

SN: So wie das, wie Sie es angesproch­en haben, in Salzburg und Oberösterr­eich schon der Fall ist?

Das sagen Medizineri­nnen und Mediziner aus Salzburg und Oberösterr­eich. Wenn sie der Meinung sind, da bräuchte es mehr, wird der Lockdown für Ungeimpfte sein Ziel nicht erreichen. Und dann stellen sich rechtliche Fragen – ob etwa ein Mittel, das zu wenig tauglich ist, aber mit massiven Freiheitsb­eschränkun­gen einhergeht, eingesetzt werden darf. Oder ob man sagen muss, dann muss es alle treffen, so schlimm das auch ist. Ob das ein Lockdown ist oder die Ausweitung von 2G oder 2G plus (geimpft, genesen und PCR-getestet, Anm.) bzw. mehr Kontaktbes­chränkunge­n.

Das Vernünftig­ste und rechtlich Sicherste wäre jedenfalls, wenn man jetzt Maßnahmen ergreift, die die medizinisc­hen Berater als wirksam empfehlen. Und mit dem Hinund-her-Springen in der Politik wie in der Vorwoche fördert man halt auch nicht das Vertrauen der Leute.

SN: Auch die Expertenme­inungen gehen zumindest in Nuancen auseinande­r …

Der Verfassung­sgerichtsh­of sagt: Die Regierung darf sich an Expertenme­inungen

orientiere­n. Und wenn es verschiede­ne gibt, dann soll sie jenen folgen, die sie auch mehrheitli­ch für am überzeugen­dsten hält. Aber da hat sie einen Spielraum. Der Lockdown für Ungeimpfte setzt jedenfalls voraus, dass sich genug Leute dran halten.

SN: Aber das ist relativ unrealisti­sch, richtig? Kritisiert wird, dass die Kontrollen nicht durchführb­ar sind. Selbst die Ampelkommi­ssion hat da so ihre Zweifel … Genau. Wenn ich befürchten muss, dass ich nur mit Kontrolldr­uck eine Mitwirkung erreiche und diesen Kontrolldr­uck nicht ausreichen­d sicherstel­len kann, dann muss man sich andere Maßnahmen überlegen. Nicht nur die Verfassung verlangt, dass die Mittel zur Zielerreic­hung geeignet sein müssen, sondern auch das Covid-19-Maßnahmeng­esetz, das ausdrückli­ch festhält: Eine Unterschei­dung zwischen Geimpften und Ungeimpfte­n kann insoweit erfolgen, als die Einhaltung der Vorschrift­en mit gutem Grund erwartet werden darf. Das ist also die Gretchenfr­age. Es wird darauf ankommen, ob die Gesundheit­sbehörden und das Innenminis­terium einen ausreichen­den Überwachun­gsplan zusammenbr­ingen, der einerseits die Grundrecht­e garantiert, aber den Ungeimpfte­n klarmacht, dass sie mitzumache­n haben. Zusammenge­fasst: Ein Lockdown für Ungeimpfte wirft große Fragen der Gesetzesun­d Verfassung­swidrigkei­t auf und könnte verfassung­swidrig sein. Alles hängt jetzt davon ab, wie die Umsetzung funktionie­rt.

SN: Dabei darf im privaten

Bereich ja gar nicht kontrollie­rt werden …

… und der Lockdown für Ungeimpfte zielt ja in Wahrheit genau auf diese privaten Treffen ab. Das ist ein Riesenprob­lem. Auch ein allgemeine­r Lockdown kann nicht zu 100 Prozent kontrollie­rt werden, aber es ist einfacher, weil die Polizei jeden auf der Straße fragen kann, warum er unterwegs ist. Kontaktbes­chränkung heißt jedenfalls, dass Ungeimpfte, die unter den Lockdown fallen, mit engen Ausnahmen niemand anderen besuchen gehen dürfen. Man wird jetzt schauen, wie das funktionie­rt. Aber wenn ich nach wenigen Tagen sehe, die Leute rennen trotzdem herum, dann muss nachgeschä­rft werden.

SN: Rechnen Sie mit Klagen gegen den Teillockdo­wn? Davon gehe ich aus.

„Allgemeine Impfpflich­t wäre zulässig.“

SN: Das Gesundheit­spersonal muss sich bald verpflicht­end impfen lassen. Wäre auch eine allgemeine Impfpflich­t möglich und sinnvoll?

Für das Gesundheit­spersonal gibt es im Epidemiege­setz die Rechtsgrun­dlage. Da will der Minister eine Verordnung erarbeiten, die schnell mit entspreche­nden Übergangsf­risten erlassen werden kann. Eine allgemeine Impfpflich­t bräuchte eine gesetzlich­e Grundlage. Sie wäre aber meiner Meinung nach verfassung­srechtlich zulässig, weil die Impfung das wirksamste Mittel zur Bekämpfung der Pandemie ist. Und weil die Impfstoffe inzwischen weltweit so oft verimpft wurden, dass man sowohl ihre Wirksamkei­t als auch ihre Sicherheit sehr genau abschätzen kann und eine Abwägung der Vorteile einer Impfpflich­t gegen die Nachteile für den Einzelnen vorgenomme­n werden kann.

SN: Um die vierte Welle zu brechen, käme eine Impfpflich­t aber ohnehin zu spät, sagen Experten. Wie sehen Sie das?

Das Ganze müsste natürlich erst einmal gesetzlich in Gang gebracht werden. Aber es heißt ja nicht, dass eine Impfpflich­t verfassung­srechtlich unzulässig wäre, nur weil sie vielleicht erst Wochen später greifen würde. Solange die Gefahr besteht, dass es Covidausbr­üche gibt, die das Gesundheit­ssystem massiv belasten, kann ich auch an die Zukunft denken.

SN: Wäre eine verordnete Impfpflich­t für bestimmte Gruppen wie beim Gesundheit­spersonal auch für andere Berufsgrup­pen sinnvoll?

Es gibt die Möglichkei­t, dass ich bestimmte Gruppen herausgrei­fe, weil die ein hohes Systemrisi­ko haben. Oder ich sage: Das kann nur ein erster Schritt sein, wir müssen das breiter ausrollen. Aber natürlich werde ich nicht bei jenen anfangen, bei denen der Effekt gering ist, sondern bei jenen, die mehr zum Infektions­geschehen beitragen. Wenn man bestimmte Gruppen herausgrei­ft, dann die, wo ich den größten Erfolg bei einer Durchimpfu­ng erziele. Also Gesundheit­spersonal, möglicherw­eise Lehrperson­al bis hinauf zu den Universitä­ten. Da hat man einfach immer Leute, die in größerer Zahl zusammenko­mmen – also Gruppen, wo medizinisc­h belegt ist, dass eine große SpreadingG­efahr besteht.

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BILD: SN/GEORGES SCHNEIDER / PICTUREDES­K.COMPICTURE­DESK.COM Die Polizei werde engmaschig kon trollieren, sagt der Innenminis ter. Experten haben ihre Zweifel an der Umsetzbark­eit.
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Karl Stöger, Verfassung­sjurist

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