Aus Schwäche und Starrsinn in die Krise
Corona hat gezeigt, dass wir ein anderes politisches System brauchen, heißt es. Mag sein. Doch vor allem brauchen wir andere Politiker.
War’s das jetzt? Offenkundig nicht. Ihre Ankündigung eines Lockdowns für Ungeimpfte war noch nicht verhallt, da legten Bundeskanzler Alexander Schallenberg und Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein in ihrer Pressekonferenz am Sonntag zur Mittagsstunde bereits ein weiteres Schäufelchen nach. Schallenberg betonte, dass die eben verkündeten Maßnahmen nur die „Unterkante“seien, es stehe also den Bundesländern frei, punktuell strengere Maßnahmen zu verhängen. Mückstein kündigte gar bereits „Gespräche über mögliche weitere Maßnahmen“an. Welche? Das erfuhr man nicht. Diese Politik als „Salamitaktik“zu umschreiben wäre eine gröbliche Verharmlosung.
Rekapitulieren wir: Vergangenen Mittwoch haben die Landeshauptleute von Oberösterreich und Salzburg einen Ungeimpften-Lockdown für ihre Bundesländer noch strikt zurückgewiesen. Nur einen Tag später, am Donnerstag, wurde der Ungeimpften-Lockdown für Oberösterreich verkündet. Und schon am Freitag auch jener für Salzburg. Am Samstag schließlich wurde offenkundig, dass die Bundesregierung ab diesem Montag die Ungeimpften in ganz Österreich in jenen Lockdown schicken werde, von dem Tage zuvor noch keine Rede war. Motto: Was geht mich mein Unsinn von gestern an. Die Entscheidungsträger haben die Schraube jeden Tag ein wenig mehr angezogen. Und zwar nicht aus taktischer Absicht (etwa um die Menschen, die von den Einschränkungen betroffen sind, nicht zu überfordern), sondern aus Unvermögen: Bundespolitische Entscheidungsschwäche traf auf landespolitischen Starrsinn. Nähme man die seit Mittwoch registrierte rasante Verfallskurve der politischen Entscheidungen und Verheißungen als Maßstab und projizierte sie auf die kommende Woche, so wäre es nicht überraschend, würden uns die Herren Entscheidungsträger – Damen sind an dem Desaster nicht wirklich beteiligt – spätestens am Ende der kommenden Woche in den Dauerlockdown schicken. Und zwar auch die Geimpften.
Österreichs Föderalismus sei nicht wirklich krisenfit, wir bräuchten zur Meisterung großer Herausforderungen ein anderes System, war im Lauf der Coronakrise (auch an dieser Stelle) oftmals zu lesen. Nach bald zwei Jahren im Krisenmodus ist zu konstatieren: Weit dringender als ein anderes System brauchen wir andere Politiker. Eine oberösterreichische Landesrätin, die die Explosion der Coronazahlen in ihrem Bundesland mit dem Hinweis quittiert, dass man eh die Zahlen genau beobachte und man jetzt eh ganz viel Impfstoff nachbestellt habe; ein oberösterreichischer Landeshauptmann, der beruhigend erklärt, dass es in seinem
Reich noch ganz viele freie Intensivbetten gebe; sein Salzburger Kollege, der sich halblustig über die Virologen lustig macht; ein Bundeskanzler, der wie ein Rohrstaberl-Pädagoge die „Zügel anziehen“will und den schlimmen Kindern, Pardon: den ungeimpften Österreichern „ungemütliche Weihnachten“verheißt: Das ist nicht der Ton, in dem man mit Menschen spricht, die seit mehr als 20 Monaten schwerste Entbehrungen auf sich nehmen – und die rekordverdächtig hohe Steuern entrichten, weshalb sie sich zu Recht ein vorbildlich geführtes Staatswesen erwarten dürfen.
Stattdessen finden sich die Österreicher und Österreicherinnen in einer Realität wieder, die aus durch die Decke gehenden Inzidenzzahlen, chaotischen Szenen beim Testen und Impfen und überforderten Politikern besteht. Dass der Bundeskanzler und der Gesundheitsminister einander am Freitag in zwei beinahe gleichzeitig stattfindenden Pressekonferenzen zum
Thema Lockdown diametral widersprachen, sei am Rande erwähnt – fast ist man versucht, sich Gerald Fleischmann zurückzuwünschen, den über die Chat-Affäre gestolperten Meister der Kanzleramts-Message-Control, der seinerzeit mit strenger Hand dafür gesorgt hat, dass die Mitglieder der Bundesregierung halbwegs unfallfrei ihre Statements abliefern konnten.
Und jetzt haben wir noch gar nicht Herrn Kickl gewürdigt, dessen strohdumme Auslassungen zu Corona einer gemeingefährlichen Kurpfuscherei gleichkommen. Seltsam eigentlich, dass in unserem sonst so anzeigefreudigen Land noch niemand eine entsprechende Anzeige gemäß StGB §184 erstattet hat.
Solcherart hat uns also die von berufenem Regierungsmunde bereits vor Monaten offiziell für beendet erklärte Pandemie neuerlich kalt erwischt. Wenn das Gröbste vorbei ist, wird es mehr als einen banalen parlamentarischen Untersuchungsausschuss brauchen, um politische Konsequenzen aus dem Debakel zu ziehen.
ANDREAS.KOLLER@SN.AT