Das Nähe-Ferne-Problem in der Politik schlägt heftig zu
Föderalismus und Corona: Das werden keine Freunde mehr.
Ein politischer Anfänger im Gesundheitsministerium. Eine Bundesregierung, die sich nach ihrer Enthauptung erst wieder sammeln muss. Und Landeshauptleute, die bisher als durchaus fähig galten, in der Krise jedoch kläglich versagen. – Die Coronapandemie hat dieser Tage ein tristes Bild der politischen Landschaft in Österreich gezeichnet.
Während sich die beiden ersten Umstände durch Zeitablauf bessern könnten, ist das beim dritten Umstand garantiert nicht zu erwarten. Er ist systemimmanent, denn die Landeshauptleute sind und bleiben Gefangene des politischen Nähe-Ferne-Problems.
Dieses Problem ist so alt wie die Politik selbst: Wie nahe muss ein Politiker am Volk sein, um die Sorgen der Bürger zu kennen und die Bodenhaftung nicht zu verlieren? Welchen Abstand muss er umgekehrt halten, um den Überblick zu bewahren und um das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren?
Diese beiden Grundfragen weisen einen schmalen Grat auf, auf dem jeder Amtsträger wandeln muss. Oft ist der Grat zu schmal und es kommt zum Absturz – auf die eine oder auf die andere Seite. Da sind einerseits die Technokraten, die auf dem Reißbrett eine Politik für jene entwerfen, deren Bedürfnisse sie gar nicht kennen und die sie verräterischerweise „die Menschen draußen“nennen. Und da sind andererseits zum Beispiel die Bürgermeister, die ihre Gemeinde grässlich verhütteln und zubetonieren lassen, weil sie Wachs in den Händen ihrer Stammtischfreunde sind.
Die Landeshauptleute genießen deswegen so große Sympathie, weil sie eher der Kategorie der Stammtischfreunde als der Kategorie der Technokraten zugeordnet werden. Bürgernähe ist ihre vornehmste Eigenschaft, Krisenbewältigung und die dazu mitunter notwendigen harten Entscheidungen sind ihre Sache nicht. Darauf sind sie in der langen Geschichte des Föderalismus (genauer gesagt: der eigenwilligen österreichischen Spielart des Föderalismus) einfach nicht trainiert worden.
Gelöst werden kann das Nähe-Ferne-Problem nur nach dem Prinzip: Entscheidungen sollen so nah beim Bürger wie möglich und so fern vom Bürger wie nötig getroffen werden. In der Realität kommt freilich eine ganz andere Regel zum Tragen: Angenehme Entscheidungen trifft man selbst, unangenehme Entscheidungen delegiert man nach oben, wo der Unmut der Betroffenen vielleicht nicht ganz so unmittelbar hingelangt.
Das ist an sich gar keine dumme Regel (die man sich etwa bei der Flächenwidmung durchaus wünschen würde). Zum echten Problem wird sie nur dann, wenn – wie eingangs geschildert – auch die obere Ebene nicht entscheidungsfähig oder -willig ist.