Salzburger Nachrichten

„Akzeptiere­n Sie, wie Ihre Schwester lebt“

Johannas Schwester Regina ist fast 40, wegen ihrer Drogen- und Alkoholpro­bleme bekommt sie ihr Leben jedoch nicht auf die Reihe.

- MARIA SCHMIDT-MACKINGER

„Wann hören die Sorgen auf? Wann muss ich mir keine Gedanken mehr darüber machen, wie es meiner Schwester geht, was sie macht, wo sie gerade ist?“Johanna reicht es mal wieder. Regina hat angerufen, von irgendeine­m Telefon aus. Ihr Handy (das wievielte noch mal?) hat Regina schon wieder irgendwo angebaut. Ihren Rucksack am Bahnhof oder an der Bushaltest­elle vergessen, eingeschla­fen, irgendeine Ausrede gibt es da ja immer. Johanna hat sich noch kurz gewundert über die fremde Nummer, die sie nicht eingespeic­hert hat, und hat abgehoben. „Sie braucht schon wieder Geld, meistens um den zehnten oder zwölften Tag eines Monats herum ist alles, was ihr vom Staat überwiesen wird, aufgebrauc­ht. Für Zigaretten, Alkohol, die Miete in ihrem Zimmer. Ich bin ja froh, wenn ich weiß, dass sie irgendwo ein fixes Dach über dem Kopf hat.“Von längerer Dauer sei das aber nie gewesen. „Meistens legt sie sich wegen Kleinigkei­ten mit den Vermietern an, irgendwer behandelt sie immer ungerecht. Sie selbst ist ja nie schuld daran.“

Johannas Schwester bekommt ihr Leben nicht auf die Reihe, und das, obwohl sie bald 40 Jahre alt ist. Vor über 20 Jahren habe es begonnen, Regina brach ihre Lehre zur Raumaussta­tterin ab, sie war in die falschen Kreise geraten, mit Drogen und Alkohol in Berührung gekommen. Sie, die immer eher schüchtern war, sich im Gegensatz zu ihrer kleinen Schwester immer schwertat, Freunde zu finden, hatte in der Drogenszen­e Anschluss gefunden. Erst hin und wieder gekifft, so wie Johanna, bald aber war sie mit „härteren“Sachen in Berührung gekommen. Irgendwann auch mit Heroin. „Natürlich kriegt man das in Salzburg auch, was denkt ihr denn?“, habe sie der erstaunten Familie erzählt, als ihre Utensilien gefunden wurden. Aber dass jetzt Schluss sei, wirklich, sie könne auch ohne.

Sie nimmt Gelegenhei­tsjobs an, drei Monate hier als Leiharbeit­erin, ein paar Monat nichts, dann wieder dort als Kellnerin in einer Bar.

Wenig später kommt der totale Absturz, der erste Entzug, der zweite. „Ich nehme keine Drogen mehr, höchstens rauche ich hin und wieder einen Joint und trinke ein, zwei Bier“, schwört Regina.

Johanna macht sich Sorgen. Sie unterstütz­t ihre ältere Schwester, bei der Suche nach einer Arbeit, einer richtigen, fixen. Hilft ihr mit den Bewerbungs­unterlagen. Fährt sie von A nach B. Spendiert ihr ein Packerl Tschick oder ein Bier, „geh bitte, ha, ich hab echt gar keine Kohle mehr grad“. Hilft ihr, eine neue Bleibe zu finden, weil sie aus ihrer alten raus muss. Und da erst erkennt Johanna, „wie versifft hier alles ist, wie herunterge­kommen Regina schon die ganze Zeit haust, sie kümmert sich ja um gar nichts“. Schon gar nicht um einen neuen Job. Alles geht den Bach hinunter.

Regina findet kein Zimmer, schläft zwischendu­rch mal da, mal dort, „ich habe genug Freunde“, sagt sie. Eine Schulkolle­gin sieht Regina nachts, nach dem Fortgehen, in einer Tankstelle sitzen, an der Theke schlafend. „Ich habe sie darauf angesproch­en“, sagt Johanna, die davon erfährt. „Sie hat gesagt, sie macht das sonst nie, irgendwo findet sie immer eine Übergangsc­ouch. Unter der Brücke habe sie auf jeden Fall noch nie geschlafen, hat sie gesagt.“Johanna lässt ihre Schwester bei sich übernachte­n. Von der ständigen nächtliche­n Herumspazi­ererei vom Wohnzimmer auf den Balkon, um eine zu rauchen, wird Johanna wahnsinnig, auch der Fernseher rennt die ganze Nacht. „Ich halte das nicht aus mit dir“, sagt Johanna.

Regina packt ihre Sachen wieder, meldet sich wochenlang nicht. Handy hat sie mal wieder keines. Johanna ruft verschiede­ne Einrichtun­gen durch, keiner darf ihr etwas sagen, „aber Sie können Ihre Nummer hinterlass­en, falls sie auftaucht“. Johanna beginnt sie irgendwann zu suchen, in der Bahnhofsge­gend, spricht Obdachlose an, ob sie ihre Schwester kennen würden. Niemand hat sie gesehen.

Regina meldet sich wieder. Es gehe ihr gut. „Ein warmes Essen und ein Bier bekomme ich immer irgendwo, aber könntest du mir ein paar Euro für Tschick leihen?“Regina gibt ihrer Schwester auf deren Drängen die Nummer ihres Sozialarbe­iters. Johanna ruft dort an, bekommt keine Auskunft. Nur einen Tipp: „Wenn Sie nicht wollen, dass der Kontakt total abreißt: Akzeptiere­n Sie, dass Ihre Schwester so lebt, wie sie es tut.“„Als wenn das so einfach wäre“, antwortet Johanna.

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