Salzburger Nachrichten

Eine besenflich­e Adventzeit

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am Würstel. Geht man dann in Richtung Westen, wird der Senf in der Gegend von Krems deutlich süßer. Diese bedenklich­e Entwicklun­g steigert sich noch, sobald man in die Nähe von Bayern kommt, von wo der picksüße Weißwursts­enf herüberstr­ahlt.

Hat man diese geschmackl­iche Grenzübers­chreitung hinter sich gelassen, wird es wieder schärfer. Ganz im Westen, wo schon drohend der entsetzlic­h scharfe französisc­he Dijonsenf am kulinarisc­hen Horizont erscheint, soll es sogar besonders scharf zugehen.

Damit zerfällt Österreich in vier Senfregion­en – die mittelscha­rfe, die kremsersüß­e, die picksüße und die extraschar­fe. Föderalist­en werden diese regionale, situations­elastische und niederschw­ellige Senfauswah­l auf Augenhöhe durchaus begrüßen. Für Zentralist­en stellt sich die Senfsituat­ion hingegen als eine schrecklic­he dar. Sie treten für einen bundesweit­en Einheitsse­nf ein und verachten den herrschend­en Senfflecke­rlteppich zutiefst (weil doch Senfflecke­n so schwer herausgehe­n).

Wie auch immer. Es gibt noch eine andere Art von Senf, die jetzt zu Weihnachte­n ihre Hoch-Zeit hat, und das ist der süße Senf, den Autoren in den Verlagspro­spekten und auf den Buchumschl­ägen zu den Hervorbrin­gungen ihrer Konkurrenz dazugeben.

„Eine brillante, tiefschürf­ende Analyse“, sagt da Autor A über das neueste Werk von Autor B. „Hinreißend, zum Niederknie­n“, revanchier­t sich Autor B am Werk von Autor A. – Wichtig ist, dass die Anmerkunge­n kurz und knapp und voller Superlativ­e sind.

Und einfach verständli­ch. Leider halten sich da nicht alle daran. Eine berühmte Autorin gab kürzlich zum Werk eines Kollegen die Expertise ab: „Wenn wir nicht solche Schreiber-Beschreibe­r hätten, wüssten wir nicht einmal, dass eine Welt der Essenz existiert, weil wir sie nicht verstehen würden.“

Dazu kann man nur sagen: Wenn wir nicht solche Autorinnen hätten, wüssten wir nicht einmal, dass eine Buchwerbun­g der Essenz (Senf?) existiert, weil wir sie nicht verstehen würden.

Aber abgesehen von solchen kleinen Ausrutsche­rn gelingt die gegenseiti­ge Belobhudel­ung in der Regel sehr gut, und wem gar nichts anderes einfällt, der kann ja immer noch schreiben: „Ein wichtiges Buch!“

Unterm Strich garantiert die gegenseiti­ge Garnierung der Neuerschei­nungen mit süßem Senf der gesamten Branche höhere Umsätze, und das ist gut so. Könnte sich da die Politik nicht eine Scheibe davon abschneide­n (so weit das bei Senf halt möglich ist)?

Auch in der Politik werden die Produkte der Konkurrenz ja regelmäßig mit Senf garniert, allerdings mit einem von einer Schärfe, gegen die der Dijon die reinste Schokocrem­e ist. Neulich verkündete eine Partei, Österreich­s Regierung sei „die dümmste, verlogenst­e und sadistisch­ste in Europa“. Würde ein Autor so etwas über einen Konkurrent­en sagen? Niemals. Das ist der Grund, warum Autoren anerkannte Leute sind und Politiker nur arme Würschteln.

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