Der Oscar-Moment
habe in der neuen Wohnung noch nicht viel Engagement in die Personalisierung unserer Sanitäranlagen gesteckt. Meine Tochter schon. Kürzlich entdeckte ich auf der Klopapierhalterung eben kein Klopapier (hier könnte die Geschichte auch eine andere Wendung nehmen), sondern eine Medaille. Es ist ihre erste. Da kommt keiner dran vorbei. Auffällig, prominent platziert. Besser geht’s nicht. Zudem hat die Betrachterin nun ausreichend Zeit für Bewunderung.
Töchterchen ist zwei und mit ihrer Medaillensammlung am Klo nicht allein. Auch Kate Winslet macht das so. Und die wiederum hat es bei Emma Thompson gesehen. Gut, im Fall der beiden Damen handelt es sich um Oscars für schauspielerische Glanzleistungen, nicht um eine hölzerne Medaille für das Auffinden von zehn Möbelstücken in einem Geisterwald. Aber was macht das aus Perspektive einer stolzen Mutter schon für einen Unterschied? Kate Winslet erklärte kürzlich in einem Interview, warum sie ihren Oscar auf der Toilette stehen hat. „Es schien mir einleuchtend: Freundinnen, Bekannte können einen Moment allein mit dem Oscar haben, ihn in die Hand nehmen, vielleicht eine imaginäre Dankesrede an ihre Eltern oder wen auch immer halten. Diesen unbeobachteten Oscar-Moment wollte auch ich meinen Besuchern und Besucherinnen verschaffen.“
Ich finde die Idee bestechend gut. Und überlege nun, was ich selbst für künftige Besucher, die ja hoffentlich doch irgendwann wieder zur Tür hereinspazieren werden, auf der Toilette vorbereiten könnte. – An Medaillen und Pokalen mangelt es leider. Chancen hatte ich durchaus: Ich erinnere mich an einen Laufbewerb, an dem ich mit Kollegen teilnahm. Es gab Stau, viele Läuferinnen und Läufer wollten an den
Start und so waren wir knapp dran. Ich gab alles. Wenn mich die Erinnerung nicht täuscht, holte ich von ganz hinten auf und erreichte unter tosendem Jubel das Spitzenfeld, sah dabei auch noch blendend aus und keuchte kein bisschen. Die Wahrheit: Meine Kollegen hängten mich früh ab und empfingen mich am Ziel: Sie mit einem Bier. Ich auf dem Zahnfleisch. Ungeduldig warteten wir auf die Ergebnisse. Endlich wurden die Zeiten des Teambewerbs verkündet. Wir waren nicht aufgeführt.
Es stellte sich heraus, dass ich den Chip für die Zeitnehmung in der Eile in meine Jackentasche gesteckt und nicht wie richtige Medaillensammler auf dem Schuh montiert hatte. Die Blicke der Kollegen können Sie sich bildlich vorstellen.
Vielleicht türme ich auf der Toilette einfach Klopapierrollen. Zeigt zumindest, dass ich vor dem Lockdown enorm schnell war.