Regierung plant Entlastung bei hohen Energiepreisen
Im Vorjahr waren es Beinahe-Blackouts in Europas Stromversorgung, die Verbraucher und Politik beunruhigten. Jetzt sind es die Ukraine-Krise und das Bangen um die russischen Gaslieferungen. Das Problem ist ein anderes.
Die Ukraine-Krise schürt die Sorge um die Gasversorgung in Europa. Die Energieregulierungsbehörde E-Control beruhigt. Die für Österreich relevanten Erdgasspeicher in Österreich sind zwar aktuell zu weniger als 30 Prozent gefüllt, die Menge reiche aber aus, um die Haushalte sicher durch den Winter zu bringen, sagt E-Control-Vorstand Wolfgang Urbantschitsch.
Für die Unternehmen könnte es nur dann eng werden, wenn es – was als unwahrscheinlich gilt – zu einem völligen Lieferstopp von russischem Erdgas käme und gleichzeitig eine extreme Kältewelle über Europa hereinbräche. Dann würde man eine Reduktion der Gaslieferungen an Großverbraucher überlegen.
Sehr viel mehr Probleme machen den Unternehmen ebenso wie den Haushalten die explodierenden Energiepreise. Strom- und Gaspreise haben sich binnen eines Jahres vervierfacht. Bei Strom winkt eine teilweise Entlastung, weil die sogenannte Ökostromabgabe von zuletzt rund 100 Euro für einen Haushalt mit durchschnittlichem Verbrauch 2022 auf null gesetzt wurde. Auch Betriebe werden entlastet. Bei Gas fehlt ein solcher Hebel bisher.
Die Regierung hat für Freitag nun zu einem „Energiegipfel“geladen. Bundeskanzler Karl Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler werden mit Vertretern der Energiewirtschaft über Maßnahmen gegen die stark steigenden Energiepreise beraten. Auch Finanzminister Magnus Brunner, Klimaschutzministerin Leonore Gewessler und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck sowie der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner als Vertreter der Bundesländer werden dabei sein. Die Wirtschaft hatte zuletzt mehrfach auf eine Entlastung für die hohen Energiekosten gedrängt.
Das Problem sei in ganz Europa ähnlich, sagt Urbantschitsch. Er plädiert für gezielte Hilfen, für jene, die es brauchen. Nicht rütteln sollte man an den Grundsätzen der Energiemarktliberalisierung.
WIEN. Als im Jänner des Vorjahres Europas Stromnetz knapp an einem Blackout vorbeischrammte und dann noch einmal im Juli, war die Aufregung groß. Seither ist die gesamte Energiebranche um Klarstellung und Beruhigung bemüht. Die Aufarbeitung der Störfälle ist noch nicht ganz abgeschlossen.
Rasch war aber klar, dass Ausfälle bei Wind- und Sonnenstrom nicht an den Störfällen schuld waren. Man habe Lehren für die Zukunft gezogen, sagte Alfons Haber, einer der beiden Vorstände der Regulierungsbehörde E-Control, am Donnerstag. Es gebe „keine Anzeichen, dass es in Österreich zu längeren Stromausfällen kommen könnte“.
Angesichts der aktuellen Eskalation in der Ukraine-Krise macht Versorgern und Verbrauchern in Europa derzeit aber weniger die Strom- als die Gasversorgung Sorgen. Etwa ein Drittel des Erdgases in der EU kommt aus Russland. Die Erdgasspeicher sind mit aktuell rund 41 Prozent so gering gefüllt wie seit zehn Jahren nicht. Nicht nur war es im Vorjahr lange kalt, auch im Sommer war es unwirtschaftlich zu speichern. Dazu kommt, dass die staatliche russische Gazprom ihre Speicher fast nicht gefüllt hat, aus taktischen
Gründen, wie im Westen vermutet wird.
Wolfgang Urbantschitsch hält es für wenig wahrscheinlich, dass Moskau tatsächlich den Gashahn zudrehen könnte. Zu wichtig sind die Einnahmen aus dem Gasgeschäft und langfristigen Verträgen. Eine weitere Zuspitzung würde aber die Gaspreise weiter anheizen, fürchtet er. „Die Preise sind vollkommen verrückt“, sagt Urbantschitsch.
Binnen eines Jahres haben sich die Gaspreise auf 80 Euro pro Megawattstunde vervierfacht. Entspannung ist nicht in Sicht, vor allem weil im Sommer dieses Jahres unbedingt mehr eingespeichert werden muss als üblich – zu Preisen, die höher sind als im Winter.
Anders als in der Gaskrise zwischen der Ukraine und Russland 2009, als es vor allem um die Durchleitungsgebühren ging, gebe es jetzt eine außenpolitisch-militärische Komponente, sagt Urbantschitsch. „Alles hat enorme Auswirkungen auf die Preise“, ob der russische Präsident Wladimir Putin mehr Gaslieferungen ankündige oder Berlin bei der Genehmigung der höchst umstrittenen Gazprom-Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 bremse.
Anders als vor mehr als zehn Jahren hat Europa aber dazugelernt, wenn auch langsam. Die meisten Pipelines erlauben nun Gasdurchfluss in beide Richtungen. Auch wurde mit dem Aufbau von Flüssiggasterminals begonnen. Dort kommen seit gut zwei Monaten wieder mehr Schiffe an, nachdem die Preise an den europäischen Gashubs mit den asiatischen gleichgezogen haben.
Österreich hängt besonders stark an russischem Gas. Nur mehr knapp zehn Prozent der gut 90 Terawattstunden (TWh), die hier pro Jahr verbraucht werden, stammen aus Eigenproduktion. Dazu kommt Gas aus der Nordsee, aus den Niederlanden bzw. Deutschland. Das Gros liefert aber Russland, wobei auch viel Gas durch Österreich durchfließt. Bei den Importen wird der russische Anteil auf 80 Prozent geschätzt, vieles davon über Pipelines durch die Ukraine. Die Speicher sind – nach zwei Dritteln der Heizperiode – zu weniger als 30 Prozent gefüllt. „Man muss aber auf die Menge schauen, nicht nur auf die Prozentsätze“, betont Urbantschitsch. Die Speicherkapazitäten wurden hierzulande im Vergleich zu 2011 mehr als verdoppelt und umfassen rund einen Jahresverbrauch. Nicht alles davon ist für Österreich bestimmt, in Kombination mit der Diversifizierung der Energiequellen und Reverse Flow sei die Versorgungslage aber heute so, „dass sich die Menschen keine Sorgen machen müssen, dass sie ihre Wohnungen nicht heizen können“.
Auch für die Unternehmen sollte die Gasmenge reichen – außer es komme zu einem vollständigen Lieferausfall gepaart mit extremer Kälte. „Dann müsste man sich überlegen, ob bei ganz großen Verbrauchern reduziert wird“, sagt der Regulator. Im Notfall, wenn aus Europa kein Gas verfügbar wäre, könnte der „Energielenkungsfall“ausgerufen werden. Aus jetziger Sicht ist Urbantschitsch aber zuversichtlich, „dass wir gut über den Winter kommen“. Was ihm und der Politik Sorgen macht, sind die finanziellen Folgen der hohen Energiekosten. Während der Entfall der Ökostromabgabe (zuletzt im Jahr rund 100 Euro pro Haushalt) beim Strom einen Teil der Verteuerung wettmacht, fehlt beim Gas ein solcher Hebel. Am Freitag gibt es einen Energiegipfel der Regierung.
„Preise sind vollkommen verrückt.“