Die Krankheit, die nie verschwindet
Die Bekämpfung des Antisemitismus ist eine Aufgabe der Schule, der Politik, der Medien, der ganzen Gesellschaft. Das ist die Lehre aus Auschwitz.
„Leider ist dieser Krebs wieder erwacht“, sagte die Holocaust-Überlebende Inge Auerbacher am Donnerstag bei einer Gedenkveranstaltung im Deutschen Bundestag, und: „Diese Krankheit muss so schnell wie möglich geheilt werden.“– Dieser Krebs, diese Krankheit: Damit meinte Auerbacher, die zu jenen zählt, die das Konzentrationslager Theresienstadt lebend verlassen konnten, den Antisemitismus, der immer noch mitten in unserer Gesellschaft lastet.
Was auch die Wichtigkeit des europaweiten Gedenkens unterstreicht, das am Donnerstag – wie stets um diese Zeit – zum Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz stattfand. Das „niemals vergessen“, das manch Redner dabei auf den Lippen trug, ist weit mehr als eine Phrase. Denn jeder Generation, jedem Jahrgang junger Menschen muss aufs Neue vor
Augen geführt werden, dass der industrielle Massenmord, wie er unter anderem in Auschwitz-Birkenau betrieben wurde, aus der Mitte unserer Gesellschaft kam. Und dass es an uns allen liegt, eine Wiederholung dieses Grauens zu verhindern.
Denn der Antisemitismus ist keineswegs überwunden. Er ist nach wie vor ein Alltagsphänomen. Die Meldestelle der Israelitischen Kultusgemeinde Wien erfasste im ersten Halbjahr des Vorjahres 562 antisemitische Vorfälle. Das waren doppelt so viele wie im
Vergleichszeitraum des vorangegangenen Jahres. Neben dem altbekannten Judenhass der rechten Rabauken und dem mancherorts als salonfähig geltenden linken Antisemitismus, der sich als Israel-Kritik tarnt, haben wir es in wachsendem Maße auch mit einem importierten Antisemitismus zu tun – importiert mit der Einwanderung aus Weltgegenden, in denen Israel, seine Bewohner und sämtliche Juden als Hassobjekte gelten. Und auch die Coronapandemie vergiftet die Köpfe. Fast ein Viertel der gemeldeten antisemitischen Vorfälle hatte einen entsprechenden Hintergrund. Corona gilt für manche nicht als lästige Viruserkrankung, sondern als Verschwörung des „Weltjudentums“, das es zwar nicht gibt, das aber dessen ungeachtet seit Unzeiten die Fantasie weiter Kreise befeuert. Und wenn sich Anti-Corona-Demonstranten – sei es aus Unwissenheit, sei es aus Perfidie – mittels gelber Sterne als die „neuen Juden“in Szene setzen und somit die Judenverfolgung durch die Nazis aufs Unerträglichste verharmlosen, wird klar, dass hier einiges in Schieflage ist. Die Bekämpfung des Antisemitismus ist eine Aufgabe der Schule, der Politik, der Medien, der ganzen Gesellschaft.
Das ist die Lehre aus Auschwitz.