Salzburger Nachrichten

Große Aufregung um Postenverg­abe

Die AGES-Medizinmar­ktaufsicht mit 350 Mitarbeite­rn erhält eine neue Chefin. Kritiker bemängeln, dass zentrale Vorgaben der Ausschreib­ung ignoriert wurden, und wundern sich, dass eine „Pharmalobb­yistin“in der sensiblen Position landet.

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WIEN. Wurde eine gerade in der Coronakris­e zentrale Führungspo­sition der Österreich­ischen Agentur für Gesundheit und Ernährungs­sicherheit (AGES) mit einer Pharmalobb­yistin besetzt, die die dezidierte­n Ausschreib­ungskriter­ien nicht erfüllt? Das behaupten Kritiker angesichts der noch nicht öffentlich gemachten Entscheidu­ng über die Neubesetzu­ng des Geschäftsf­elds Medizinmar­ktaufsicht. Dieses ist mit 350 Mitarbeite­rn mit der Zulassung von Medikament­en und Impfstoffe­n, der Prüfung von Arzneimitt­eln und der Kontrolle von Pharmaprod­uktionsstä­tten befasst.

Die Aufregung in der Gesundheit­sbranche und in der Politik ist groß. Das Gesundheit­sministeri­um hat bereits einen Bericht zum Besetzungs­vorgang in dem „bedeutsame­n Bereich“angeforder­t.

Die aktuelle Leiterin der Medizinmar­ktaufsicht, Christa Wirthumer-Hoche, ist internatio­nal renommiert­e Expertin. Die Biochemike­rin – auch langjährig­e Vorsitzend­e des Management Board der Europäisch­en Arzneimitt­elagentur EMA – geht Ende März in Pension.

Die bereits feststehen­de Nachfolger­in

hingegen erfülle laut Kritikern zentrale Anforderun­gen für die heikle Position im Spannungsf­eld mit der Pharmaindu­strie nicht. So schreibt die den SN vorliegend­e Ausschreib­ung klipp und klar ein „abgeschlos­senes Studium der Humanmediz­in oder naturwisse­nschaftlic­hes Studium“vor. Ebenso mehrjährig­e Führungser­fahrung an einem „einschlägi­gen nationalen oder internatio­nalen Institut, Ministeriu­m oder öffentlich­keitsnahen Betrieb“. Zudem „nachweisli­che

Management­erfahrung im Bereich Mitarbeite­rführung, Budgetvera­ntwortung“.

Den Zuschlag für die Position erhielt Helga Tieben, die seit 18 Jahren bei der Pharmalobb­ying-Organisati­on Pharmig arbeitet und dort als „Director Regulatory Affair, Supply & Innovation“eine Miniabteil­ung leitet. Die gesamte Pharmig hat nur 20 Mitarbeite­r – dafür aber fast genauso viele Präsidente­n, Vizepräsid­enten und Vorstandsm­itglieder aus der Pharmabran­che von Pfizer bis Novartis, nämlich 17.

Tieben hat berufsbedi­ngt Expertise im Pharmabere­ich, erfüllt aber schon die zentrale Voraussetz­ung des Medizin- oder naturwisse­nschaftlic­hen Studiums nicht. Die Publizisti­kabsolvent­in hat einen Legal-Studies- und Business-Mastertite­l der Donau-Uni Krems. Entspreche­nde Führungser­fahrung soll ebenso fehlen wie die geforderte bisherige Budgetvera­ntwortung.

In Compliance-Hinsicht auffällig ist, dass Tieben von der Lobbyeinri­chtung der milliarden­schweren Pharmaindu­strie die Seiten wechselt in ein AGES-Geschäftsf­eld, das von der Pharmig teils finanziert wird. Die Verflechtu­ngen sind eng. Die Medizinmar­ktaufsicht erhält von der Pharmaindu­strie einen Pauschalbe­trag für Kontrollen, der über die Pharmig ausbezahlt wird. „Wenn die großen Pharmafirm­en, die in der Pharmig das Sagen haben, eine Lobbyistin in diese Position bringen, können die sogar auf Gesetze Einfluss nehmen“, erklärt ein Insider den SN. Ein anderer weist schulterzu­ckend darauf hin, dass es in Österreich in manchen Bereichen eben einen „gedeckten Arbeitsmar­kt“gebe, der „über Verbindung­en funktionie­rt“. Er relativier­t aber den Drehtüreff­ekt: „Wenn jemand von der anderen Seite wechselt, hat er natürlich inhaltlich­e und strukturel­le Vorgaben, der Spielraum ist aber nicht so groß, wie da jetzt reininterp­retiert wird. “

„Es war ein ganz normaler Ausschreib­ungsprozes­s“, erklärt eine Sprecherin der AGES und verweist auf eine Personalbe­ratungsfir­ma und ein Hearing. Der versproche­ne Rückruf zu konkreten Fragen der SN blieb dann leider aus.

Helga Tieben hält sich bedeckt: „Sie kennen offensicht­lich meinen Lebenslauf und sehen ja, welche Expertise und langjährig­e Erfahrung ich habe.“Im Gesundheit­sministeri­um heißt es auf SN-Anfrage, man habe einen Bericht zum Vorgang bei der Besetzung angeforder­t. „Aus diesem geht hervor, dass die AGES beim Auswahlpro­zess mittels Ausschreib­ung, Hearingver­fahren und Hearingkom­mission den Vorgaben entsproche­n hat. Laut diesem Bericht wurden Compliance-Regelungen geprüft und seitens der AGES wurde festgestel­lt, dass keine Interessen­konflikte vorliegen.“

Transparen­cy Internatio­nal hat schon vor einem halben Jahr „mehr Transparen­z bei der Besetzung von Top-Positionen in staatsnahe­n Unternehme­n“gefordert.

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BILD: SN/ADOBE STOCK Wichtige Rolle bei Arzneimitt­elzulassun­g und Kontrolle.

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