Der Nervenkrieg geht weiter
Moskau will die Ablehnung seiner Sicherheitsforderungen durch den Westen nicht hinnehmen. Aber die schon lange angekündigte „militärtechnische“Reaktion ließ gestern auf sich warten.
Es gebe wenig Anlass zum Optimismus, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. „Man kann nicht sagen, dass unsere Überlegungen berücksichtigt wurden.“Auch Außenminister Sergej Lawrow zeigte sich unzufrieden mit der schriftlichen Antwort des Westens auf Moskaus Forderungen nach Sicherheitsgarantien: „Zur Hauptfrage gibt es in diesem Dokument keine positive Reaktion.“Die Hauptfrage sei Russlands klare Position zur Unzulässigkeit einer erneuten Osterweiterung der NATO und der Aufstellung von Angriffswaffen, die das Gebiet Russlands bedrohen könnten. Jetzt habe man einen Zustand, den Russland nicht hinnehmen könne.
Wie erwartet, lehnte der Westen schriftlich alle Forderungen Moskaus ab, den Beitritt postsowjetischer Staaten zum Bündnis auszuschließen und sämtliche Truppen hinter die deutsch-polnische Grenze zurückzuziehen. USA und NATO verlangten ihrerseits von Russland, seinen Truppenaufmarsch an der
Grenze zur Ukraine aufzulösen. Gleichzeitig benannte der Westen nach Worten von US-Außenminister Antony Blinken Verhandlungsfelder wie Rüstungskontrolle, besonders im Raketenbereich. Oder eine Verringerung der Risiken durch mehr Militärtransparenz.
„Es gibt eine Reaktion, die es erlaubt, mit dem Beginn ernsthafter Gespräche zu rechnen“, bestätigte
Lawrow. „Aber das sind zweitrangige Themen.“Er habe Blinken angekündigt, dass Russland ihm und den westlichen Kollegen eine förmliche Anfrage stellen werde: warum sie ihre im Istanbul-Vertrag eingegangene Verpflichtung nicht beachteten, die Sicherheit eines Staates nicht auf Kosten anderer Staaten zu stärken. Das wäre nach russischer Ansicht bei einem NATO-Beitritt der Ukraine der Fall.
Lawrow sagte, die zuständigen Ministerien studierten die Antwortschreiben
weiter, würden dann dem Präsidenten berichten. „Er fällt die Entscheidung über unsere weiteren Schritte.“Laut Peskow lagen die Briefe Wladimir Putin bereits vor. Inhaltlich wiederholen die Schreiben der NATO und der USA nur Aussagen westlicher Spitzenpolitiker, die seit Langem bekannt sind.
In Moskau wird heftig spekuliert, wie der Kreml reagieren wird. „Die Antwort liegt schon bereit“, versichert Politologe Alexej Muchin. „Putin wird nicht sofort reagieren, erst in ein paar Tagen, hybrid und ganz im Interesse Russlands.“Muchins Kollege Sergej Markow beschwert sich: Statt einen Kompromiss zu suchen, hätten USA und NATO beschlossen, den Druck zu erhöhen. „Eine harte Antwort bleibt Putins schon fast einzige Variante.“Moskauer Beobachter halten die Optionen aber für begrenzt.
Das Außenministerium verwahrte sich gegen den Gedanken an einen großen Krieg mit der Ukraine. Putins Intimus Dmitri Medwedew nannte die Stationierung russischer Atomraketen in Venezuela oder auf
Kuba unmöglich, weil sich beide Länder bemühten, ihre Beziehungen zu den USA zu verbessern. Bleibt die von vielen erwartete Anerkennung der Rebellenrepubliken, die die Kommunisten als Antrag in die Staatsduma eingebracht haben. Oder offizielle Waffenlieferungen an die Rebellen, wie sie die Staatspartei Einiges Russland fordert. Die Lugansker Rebellen kündigen gar einen Angriff der Ukrainer an, vielleicht Anlass, offiziell russische Truppen im Donbass einzusetzen. All das würde die in Paris neu gestarteten Verhandlungen zunichtemachen. Die Gespräche sollen übernächste Woche in Berlin fortgesetzt werden. Auch ein Treffen zwischen Blinken und Lawrow dürfte folgen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will seinem russischen Amtskollegen Putin einen Weg der Deeskalation im Konflikt mit der Ukraine vorschlagen. Heute um 10.45 Uhr wollen die beiden Staatschefs miteinander telefonieren.