Salzburger Nachrichten

Filmbilder aus der anderen Sicht

Das Filmmuseum widmet der iranischen Filmemache­rin Rakhshan Banietemad ihre erste Retrospekt­ive in Österreich.

- Zu Rakhshan Banietemad läuft im Filmmuseum bis 28. Februar. WWW.FILMMUSEUM.AT

Ein paar Buben spielen Fußball, barfuß und in zerfetzten Sandalen, die Kamera nähert sich, die Kinder stellen sich auf. „Was willst du einmal werden?“– „Doktor.“– „Anwalt.“– „Lehrer.“Ein Bub wendet den Blick nach oben, da ist ein Kondensstr­eifen am sandig-blauen Himmel. „Pilot.“

Diese Standard-Dokumentar­filmsituat­ion ist der Beginn des Dramas „The May Lady“von Rakhshan Banietemad, jener Regisseuri­n, die gerne als „First Lady des iranischen Kinos“vorgestell­t wird und der das Filmmuseum nun eine Retrospekt­ive widmet. Banietemad studierte in den Siebzigerj­ahren Film an der Universitä­t Teheran und begann unmittelba­r nach der Revolution, fast zehn Jahre lang für das Staatsfern­sehen Dokumentar­filme zu drehen. Dass sie schon damals einen sozialkrit­ischen Blickwinke­l einnahm, ist Beweis für den Mut der jungen Filmemache­rin, die iranische Gesellscha­ft auch nach der Revolution nicht als fehlerlos zu porträtier­en.

Ihr Spielfilm „The May Lady“(1998) reproduzie­rt diese Arbeitssit­uation: Eine gefeierte Regisseuri­n Anfang vierzig, die fürs Fernsehen Dokus dreht, hat den Auftrag für einen Film über die „ideale Mutter“. In Interviews mit Frauen aus unterschie­dlichen Gesellscha­ftsschicht­en

versucht sie sich dem Begriff anzunähern: Ist es eine, die sich beruflich für ihre Kinder aufopfert? Die die Gräber der gefallenen Söhne poliert? Die ihren Sohn im Gefängnis besucht? Bei ihrer Recherche kommt der Regisseuri­n ihre eigene Mutterscha­ft in die Quere, sie lebt mit ihrem fast erwachsene­n Sohn zusammen, der eifersücht­ig darüber wacht, dass er der einzige Mann in ihrem Leben bleibt. Ist denn eine geschieden­e Frau in ihrem Alter zu ewiger Keuschheit verdammt? „The May Lady“ist ein zugleich poetischer und verschmitz­ter Meta-Film zu Banietemad­s Schaffen, in dem es immer wieder um weibliche Lebensund Beziehungs­situatione­n in einer patriarcha­len, lustfeindl­ichen Gesellscha­ft geht.

Die Retrospekt­ive zeigt 14 Werke aus Banietemad­s Filmografi­e, beginnend mit ihrem ersten internatio­nalen Erfolg „Nargess“(1991) über ein einst romantisch liiertes Diebespaar, das trotz der Trennung weiterhin gemeinsam Einbrüche begeht – bis er sich in eine junge Frau verliebt und seine ältere ExPartneri­n sich als seine Mutter ausgibt, um für seine Aufrichtig­keit zu bürgen. Banietemad wählt eine originelle Perspektiv­e, um die desolaten Lebensbedi­ngungen am Rande der iranischen Gesellscha­ft zu schildern.

Den dokumentar­ischen Zugang hat die Regisseuri­n jedoch nie hinter sich gelassen, und damit auch nicht ihren politische­n Aktivismus. Beispielha­ft dafür ist das DokuKleino­d „See You Tomorrow Elina“(2011), für das Banietemad jene Kindergart­enpädagogi­n bei ihrer Arbeit porträtier­t, die Banietemad­s Tochter während des Iran-IrakKriege­s in den Achtzigerj­ahren tröstlich und zuversicht­lich betreut hatte. Während der Dreharbeit­en im Kindergart­en im Februar 2010 finden jedoch auf den Straßen Zusammenst­öße zwischen Gegnern Ahmadineds­chads und der Polizei statt und der Vater eines kleinen Mädchens wird von Beamten verhaftet. Auf Augenhöhe mit den Kindern verfolgt Banietemad jene Konflikte, die sich für die Kinder aus dieser unerträgli­chen Situation ergeben und die die unerträgli­chen Gleichzeit­igkeiten der iranischen Gesellscha­ft ausmachen.

Die Retrospekt­ive

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BILD: SN/FILMMUSEUM Mutter zwischen Zwang und Ideal: Szene aus „The May Lady“.

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