Filmbilder aus der anderen Sicht
Das Filmmuseum widmet der iranischen Filmemacherin Rakhshan Banietemad ihre erste Retrospektive in Österreich.
Ein paar Buben spielen Fußball, barfuß und in zerfetzten Sandalen, die Kamera nähert sich, die Kinder stellen sich auf. „Was willst du einmal werden?“– „Doktor.“– „Anwalt.“– „Lehrer.“Ein Bub wendet den Blick nach oben, da ist ein Kondensstreifen am sandig-blauen Himmel. „Pilot.“
Diese Standard-Dokumentarfilmsituation ist der Beginn des Dramas „The May Lady“von Rakhshan Banietemad, jener Regisseurin, die gerne als „First Lady des iranischen Kinos“vorgestellt wird und der das Filmmuseum nun eine Retrospektive widmet. Banietemad studierte in den Siebzigerjahren Film an der Universität Teheran und begann unmittelbar nach der Revolution, fast zehn Jahre lang für das Staatsfernsehen Dokumentarfilme zu drehen. Dass sie schon damals einen sozialkritischen Blickwinkel einnahm, ist Beweis für den Mut der jungen Filmemacherin, die iranische Gesellschaft auch nach der Revolution nicht als fehlerlos zu porträtieren.
Ihr Spielfilm „The May Lady“(1998) reproduziert diese Arbeitssituation: Eine gefeierte Regisseurin Anfang vierzig, die fürs Fernsehen Dokus dreht, hat den Auftrag für einen Film über die „ideale Mutter“. In Interviews mit Frauen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten
versucht sie sich dem Begriff anzunähern: Ist es eine, die sich beruflich für ihre Kinder aufopfert? Die die Gräber der gefallenen Söhne poliert? Die ihren Sohn im Gefängnis besucht? Bei ihrer Recherche kommt der Regisseurin ihre eigene Mutterschaft in die Quere, sie lebt mit ihrem fast erwachsenen Sohn zusammen, der eifersüchtig darüber wacht, dass er der einzige Mann in ihrem Leben bleibt. Ist denn eine geschiedene Frau in ihrem Alter zu ewiger Keuschheit verdammt? „The May Lady“ist ein zugleich poetischer und verschmitzter Meta-Film zu Banietemads Schaffen, in dem es immer wieder um weibliche Lebensund Beziehungssituationen in einer patriarchalen, lustfeindlichen Gesellschaft geht.
Die Retrospektive zeigt 14 Werke aus Banietemads Filmografie, beginnend mit ihrem ersten internationalen Erfolg „Nargess“(1991) über ein einst romantisch liiertes Diebespaar, das trotz der Trennung weiterhin gemeinsam Einbrüche begeht – bis er sich in eine junge Frau verliebt und seine ältere ExPartnerin sich als seine Mutter ausgibt, um für seine Aufrichtigkeit zu bürgen. Banietemad wählt eine originelle Perspektive, um die desolaten Lebensbedingungen am Rande der iranischen Gesellschaft zu schildern.
Den dokumentarischen Zugang hat die Regisseurin jedoch nie hinter sich gelassen, und damit auch nicht ihren politischen Aktivismus. Beispielhaft dafür ist das DokuKleinod „See You Tomorrow Elina“(2011), für das Banietemad jene Kindergartenpädagogin bei ihrer Arbeit porträtiert, die Banietemads Tochter während des Iran-IrakKrieges in den Achtzigerjahren tröstlich und zuversichtlich betreut hatte. Während der Dreharbeiten im Kindergarten im Februar 2010 finden jedoch auf den Straßen Zusammenstöße zwischen Gegnern Ahmadinedschads und der Polizei statt und der Vater eines kleinen Mädchens wird von Beamten verhaftet. Auf Augenhöhe mit den Kindern verfolgt Banietemad jene Konflikte, die sich für die Kinder aus dieser unerträglichen Situation ergeben und die die unerträglichen Gleichzeitigkeiten der iranischen Gesellschaft ausmachen.
Die Retrospektive