Salzburger Nachrichten

Warum Ego-Shooter auf ihrem CO2 sitzen bleiben werden

Wettbewerb ist nicht der Weisheit letzter Schluss: ein Paradigmen­wechsel.

- Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der Kreativwir­tschaft Austria. SN.AT/GEWAGTGEWO­NNEN

Es ist beeindruck­end, welchen Schwenk viele Unternehme­n, von groß bis klein, in den vergangene­n zwei, drei Jahren vollzogen haben: Erst vor Kurzem noch löste das Wort Klimaschut­z Gähnen und hilfloses Achselzuck­en aus: „Ja, eh.“Mittlerwei­le haben viele Managerinn­en und Manager die Vokabeln der Klimarette­r drauf: Sie wissen nicht nur, was Dekarbonis­ierung bedeutet und die Taxonomie-Verordnung bringt (dass es teurer wird, schädliche fossile Investitio­nen zu finanziere­n). Sie können grünen von grauem Wasserstof­f unterschei­den. Großartig. Aber es geht mehr: Sie ziehen Papiere mit bunten Grafiken aus der Schublade, die zeigen, wann sie wie viel Kohlendiox­id loswerden wollen. Hier liegt die Betonung auf wollen, zum Tun fehlt oft noch ein großer Schritt.

Beim Übergang vom Greenwashi­ng, zu dem seit vielen Jahren gern gegriffen wird, zur echten Dekarbonis­ierung stellt sich nämlich häufig ein Schock ein: Kohlendiox­id aus den eigenen Produktion­s- und Transportk­etten rauszukrie­gen ist wesentlich schwierige­r zu schaffen als gedacht. Wo fängt man da eigentlich an? Graue Haare macht dabei weniger die technologi­sche Machbarkei­t. In vielen Fällen geht es, von Öl und Gas auf erneuerbar­e Energie und nachhaltig­e Materialie­n umzusteige­n. Was wirklich graue Haare macht, ist die verdammte Abhängigke­it, die sich Unternehme­n eingestehe­n müssen: Ohne Lieferante­n, Kunden und Partner geht überhaupt nichts.

An die Grenzen stößt ein Einzelner bereits bei Transparen­z und der leidigen Gretchenfr­age nach den Daten: Wie viel Kohlendiox­id steckt in welchem Bestandtei­l? Mit welcher Veränderun­g könnte man beim eigenen Produkt am meisten Meter machen? Und es hört beim Recycling oder der Wiederverw­endung ausrangier­ter Waren nicht auf: Wie könnte man das Material in einen Kreislauf bringen, anstatt es wegzuwerfe­n? Es fehlen anerkannte

Berechnung­smodelle für den Klima-Fußabdruck in Wertschöpf­ungsketten. Jeder strickt eigene Konzepte, doch führt das zum Ziel?

Vielleicht ist es endgültig Zeit, das Spiel als Ego-Shooter aufzugeben. Solche gibt es in der Computersp­iele-Welt zuhauf, sie ziehen allein durch die Welt, stets auf die Verteidigu­ng ihrer selbst ausgelegt: Dort, wo bisher recht rasch die Ellbogen ausgefahre­n wurden – im Kontakt mit Kunden, Lieferante­n und Partnern, ja sogar mit Wettbewerb­ern –, schreit die Dekarbonis­ierung nach Zusammenar­beit. In Zukunft gibt es für jene, die allein durch die Welt ziehen, nämlich nichts mehr zu gewinnen. Es ist ganz einfach: Wer sich abschottet, wird auf seinem Kohlendiox­id schlicht sitzen bleiben.

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Gertraud Leimüller

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