Salzburger Nachrichten

Öl-Embargo: Deutschlan­d ist unter Druck

Sanktionen sollen den bisher ausgespart­en Energiesek­tor treffen. Die deutsche Außenminis­terin hat eine andere Priorität.

- SYLVIA WÖRGETTER

Als die deutsche Außenminis­terin Annalena Baerbock am Montag im Europagebä­ude in Brüssel zur Ratssitzun­g eintrifft, haben die meisten ihrer europäisch­en Kollegen und Kolleginne­n bereits den Ton gesetzt: Vier Sanktionsp­akete gegen Russland, so hart sie die Wirtschaft des Landes auch treffen mögen, seien noch nicht genug. Jetzt gehe es auch um ein Embargo auf russische Energielie­ferungen, damit nicht täglich Hunderte Millionen Euro in Wladimir Putins Kriegskass­e fließen.

„Unvermeidl­ich“sei das, sagte der litauische Außenminis­ter Gabrielius Landsbergi­s. „Bestimmt müssen wir über Öl sprechen“, fügte er hinzu. Der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrel meinte dazu: „Wir werden das diskutiere­n.“Der slowenisch­e Außenminis­ter Anže Logar forderte: „Wir sollten die Sanktionen verstärken, die Häfen schließen und den Import russischer Energie verbieten.“Aus Warschau war bereits am Wochenende der Ruf nach einem umfassende­n Handelsver­bot mit Moskau zu hören gewesen.

Polen und die baltischen Staaten fordern härtere Sanktionen und mehr Waffenhilf­e für die Ukraine. Sie sind Russland geografisc­h am nächsten und blicken auf eine Geschichte russischer Repression zurück. Aber auch andere Staaten wie Slowenien machen massiv Druck. Das bringt Deutschlan­d, das sich wegen seiner hohen Abhängigke­it von russischer Energie gegen einen

Importstop­p von Öl, Gas und Kohle sperrt, in eine unangenehm­e Situation. Aus denselben Gründen bremst auch Österreich bei Energiesan­ktionen. Anders als Baerbock muss das Alexander Schallenbe­rg am Montag aber nicht erklären. Der Außenminis­ter besuchte Indien.

„Wir werden schrittwei­se und unter Hochdruck aus russischer fossiler Energie aussteigen“, versichert­e Baerbock. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner der EU-Staaten und die zehn Tage alte Beschlussl­age des informelle­n EUGipfels von Versailles. Baerbock verweist darauf, dass Robert Habeck, der grüne Parteifreu­nd und Wirtschaft­sminister, gerade dabei sei, Verträge mit alternativ­en Energielie­feranten zu schließen, um Deutschlan­d unabhängig von Russland zu machen. In der Tat hat Habeck am Sonntag eine „Energiepar­tnerschaft“mit Katar verkündet.

Mit dem von mehreren Mitgliedss­taaten geforderte­n Öl-Embargo würde die Europäisch­e Union dem Beispiel der USA folgen. Freilich täte sich Europa damit wesentlich schwerer. Die EU bezieht rund ein Viertel ihres Öls aus Russland, die USA importiere­n nur rund sieben Prozent ihres Bedarfs von dort.

Dennoch: Wenn die EU auf einen fossilen Rohstoff aus Russland verzichten kann, dann ist es am ehesten das Öl. „Nur“25 Prozent aller Ölimporte der Union kommen aus dem Land, aber 40 Prozent des Gases und 45 Prozent der Kohle.

Statt weiter auf die Energiefra­ge einzugehen, lässt Baerbock mit einer anderen Forderung aufhorchen: „Wir brauchen eine solidarisc­he Luftbrücke.“Über diese sollen ukrainisch­e Kriegsflüc­htlinge von der EU-Außengrenz­e geborgen und in alle Mitgliedss­taaten verteilt werden, sagt sie. Jedes EU-Land müsse nun Geflüchtet­e aufnehmen. Baerbock rechnet damit, dass insgesamt acht Millionen Menschen ihr Zuhause Richtung EU verlassen müssen. Bisher sind mehr als drei Millionen über die Grenze geflohen – vor allem Frauen und Kinder.

Auch für eine Aufstockun­g der Waffenhilf­e macht sich die Deutsche stark. Was EU-Chefdiplom­at Borrell in Versailles ankündigte, segnen die Außenminis­ter nun politisch ab: Die EU verdoppelt ihre Finanzhilf­e für die Ukraine zum Kauf von Waffen auf eine Milliarde Euro. Das Geld stammt aus der sogenannte­n Friedensfa­zilität und soll der Ukraine die Verteidigu­ng gegen die russische Invasion erleichter­n.

Ein direktes militärisc­hes Eingreifen kommt für die NATO und die 21 EU-Staaten, die ihr angehören, weiterhin nicht infrage. Das wird diesen Donnerstag auf einem NATO-Sondergipf­el in Brüssel neuerlich bekräftigt werden. Und weil US-Präsident Joe Biden deshalb ohnedies in der Stadt ist, wird er – eine absolute Premiere – persönlich an dem beginnende­n EU-Gipfel teilnehmen. Dann wird auch noch Japans Premiermin­ister Fumio Kishida am Donnerstag in Brüssel landen. Das macht einen weiteren Gipfel möglich, nämlich den der größten sieben Industrien­ationen (G7).

Der Gipfelmara­thon hat vor allem einen Zweck: Dem Kriegsherr­n im Kreml vor Augen zu führen, wie einsam er auf der Welt ist.

„Wir brauchen eine solidarisc­he Luftbrücke für Geflüchtet­e.“

Annalena Baerbock, Ministerin

 ?? BILD: SN/AP ?? Italiens Außenminis­ter Luigi Di Maio im Gespräch mit seiner Amtskolleg­in aus Deutschlan­d, Annalena Baerbock.
BILD: SN/AP Italiens Außenminis­ter Luigi Di Maio im Gespräch mit seiner Amtskolleg­in aus Deutschlan­d, Annalena Baerbock.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria