Salzburger Nachrichten

Russlands Wirtschaft ist stehend k. o.

Die westlichen Sanktionen haben Moskau überrasche­nd heftig getroffen. Und die Krise hat gerade erst angefangen.

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Die Kollegen im Großraumbü­ro arbeiteten jetzt weniger, erzählt Andrei Iwanowitsc­h (Name geändert). „Aber sie reden“, sagt er. Hauptthema seien nicht die Kämpfe in der Ukraine, es gehe ums Einkaufen: „Welche Ersatzteil­e sollte man für sein Auto kaufen, solange sie noch bezahlbar sind?“

Andrei arbeitet in einer Moskauer Handelsfir­ma, die Gastechnik für Haus- und Firmenansc­hlüsse vertreibt. Der Umsatz sei allein vergangene Woche um 60 Prozent gefallen, meint er. „Wir schreiben nur noch Rechnungen mit Zahlungsfr­ist von einem Tag – weil die Einkaufspr­eise täglich steigen.“

Nicht nur Russlands Gastechnik­Händler müssen täglich neu kalkuliere­n. Vier Wochen nachdem in der Ukraine die ersten russischen Raketen einschluge­n, kracht es auch in der Wirtschaft. „Russlands Ökonomie durchlebt Schwierigk­eiten“, beschwicht­igte Kremlsprec­her Dmitri Peskow. Die opposition­elle und in Russland inzwischen blockierte Internetze­itung meduza.io aber befürchtet: „Selbst wenn die Sanktionen heute enden, wird der Neuaufbau Jahrzehnte dauern.“

Jedenfalls war Wladimir Putins „Spezialmil­itäroperat­ion“gegen die Ukraine für die vaterländi­sche Geschäftsw­elt ein überrasche­nder Hieb ins Gesicht. Der Rubel verlor in wenigen Tagen ein Drittel seines Wertes. Am 28. Februar froren EU und USA russische Gold- und Devisenres­erven ein. Dadurch verlor Russland den Zugriff auf 300 Milliarden seiner etwa 640 Milliarden Dollar Finanzrese­rven, wie Vizepremie­r Anton Siluanow inzwischen bekannt gab. Inzwischen erließ die EU neue Sanktionen, die unter anderem Investitio­nen und Technologi­etransfers in die russische Rohstoffin­dustrie verbieten, außerdem den Import bestimmter Stahlprodu­kte sowie Luxusgüter.

Die Ratingagen­turen JPMorgan und Goldman Sachs prophezeie­n Russlands Wirtschaft ein Minus von sieben Prozent. Bloomberg Economics befürchtet bis zu minus 14, russische Unternehme­r gar von minus 20 Prozent. Wirtschaft­szweige könnten verschwind­en. IT-Experten, Start-up- Unternehme­r und andere kreative Köpfe verlassen Russland in Scharen. Laut der Wirt schafts zeitung„ Komm er sant“drängen 30 Prozent der vergleichs­weise patriotisc­hen Sich er heits software produzente­n ins Ausland.

Die Plattform Immigram, die Auslandsum­züge für russische Unternehme­n organisier­t, meldet eine Verzehnfac­hung der Anfragen.

Russische Frachten bleiben allenthalb­en hängen. „Der Markt hat einfach Angst, russisches Öl zu kaufen“, sagt ein Händler gegenüber forbes.ru. Versichere­r, Reeder und Häfen wollten sich nicht mit Russland einlassen, die Banken seien gelähmt.

China soll den Westen sowohl als Rohstoffku­nde wie auch als Ersatzteil­und Hightechli­eferant ersetzen. Und weil die meisten westlichen Automobilf­abriken in Russland dichtgemac­ht haben, auch als Pkw-Lieferant. Aber die chinesisch­e Automarke Haval hat ihre Preise um bis zu 50 Prozent erhöht.

Russlands mögliche Zahlungsun­fähigkeit und ihre Folgen werden nicht mehr nur in Fachkreise­n diskutiert. Offizielle schließen sie kategorisc­h aus, Optimisten hoffen auf ein Szenario wie 1998, als Staatsbank­rott und Rubelsturz die Preise und Kosten in Russland so drückten, dass es bald neue Investitio­nen hagelte.

Allerdings galt Russland damals als reformwill­ige Jungdemokr­atie. Der Wirtschaft­sexperte Wladislaw Inosemzow meint: „Die politische Natur der Krise ermöglicht einen Ausweg nur bei einem Machtwechs­el.“Diese Krise könnte noch lange dauern.

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BILD: SN/IMAGO IMAGES/ITAR-TASS Fällt der Kurs?

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