Moskau: Die Kunst verdampft im Kraftwerk des Totalitären
Das Engagement der Kunstfabrik GES-2 in Moskau reicht bis zu den Salzburger Festspielen. Ob das in Zukunft auch noch so sein kann, ist fraglich.
Eine „neue Kathedrale“– so wurde die Kulturfabrik GES-2 in Moskau von Kunstmagazinen bei der Eröffnung im Dezember 2021 gefeiert. Nicht nur um Ausstellungen und Kunstproduktion für Zeitgenössisches geht es. GES-2 kooperiert auch mit den Salzburger Festspielen. Die Oper „Salome“wurde 2019 unterstützt. Heuer soll eine Bartók/Orff-Produktion unterstützt werden. Das hatte seinen Ausgangspunkt in der Begeisterung der GES-2-Direktorin Teresa Iarocci Mavica für Regisseur Romeo Castellucci. Ob aus der Förderung für die Salzburger Festspiele etwas wird, ist ungewiss. Teresa Iarocci Mavica leitet das Haus nicht mehr. Das GES-2 scheint schon knapp vier Monate nach der Eröffnung ein Relikt aus einer anderen Zeit zu sein, einer Zeit, in der ein Aufbruch in zeitgenössischer Kunst auch in Russland möglich war.
„Angesichts der tragischen Ereignisse“sei eine Reihe von Programmen ausgesetzt , ließ das GES-2 mitteilen. Geschlossen, „bis die menschliche und politische Tragödie, die sich in der Ukraine abspielt, beendet ist“, wie es in einer Aussendung steht, ist in Moskau auch ein anderer Anlaufpunkt für zeitgenössische Kunst: das Garage Museum of Contemporary Art, finanziert von Roman Abramowitsch.
„Russen haben nicht nur eine hohe Präsenz im Kunstmarkt, sondern überhaupt in der Kunstwelt“, sagte Ivan Macquisten, eine Art Risikoanlageberater für internationale Kulturinstitutionen, vor einigen Tagen der englischen Zeitung „The Guardian“. Die Art Basel hatte gemeinsam mit der Schweizer Bank UBS errechnet, dass vier Prozent der rund 2200 Milliardäre auf dieser Welt Russen sind. Viele von ihnen begannen ab den 1990erJahren Abermillionen in Kunst zu stecken – als Gäste auf Messen, als Kunden bei Auktionen. Oder als Erbauer neuer Kunsttempel. Kritiker sagen, dass es sich dabei um eine Kunst des Reinwaschens für unter staatlicher Duldung angehäuftes Vermögen handle.
Eines dieser Ergebnisse der Hinwendung zur Kunst war die Stiftung
Kunst nur, wenn sie für das Regime Sinn ergibt
V-A-C des Milliardärs Leonid Michelson – benannt nach dessen Tochter Viktoria und den Worten „Art“und „Contemporary“. Es ist die größte private Kunstinstitution Russlands – und sie betreibt GES-2.
Erste Ideen für das Kulturzentrum gab es vor fast 15 Jahren. Nicht Putin, sondern – von 2008 bis 2012 – Dmitri Medwedew war damals Präsident, quasi als Übergangslösung, bis Putin zurückkehrte.
Die frühen 2010er-Jahre waren eine Zeit, in der durch Russland zumindest ein leichter Wind zu wehen schien, in dessen Folge kultureller Aufbruch in eine künstlerische Gegenwart stattfinden könnte, weil es „für die Regierenden Sinn machte“, wie Emil Brix sagt, ehemaliger Botschafter in Moskau und mittlerweile Leiter der Diplomatischen Akademie. Mit dem Angriff auf die Ukraine und einem immer totalitärer werdenden Regime erweist sich die Idee einer – durchaus von staatlicher Stelle gewünschten – Offenheit offenbar als geplatzter Traum. „Vieles deutet darauf hin, dass kein Platz mehr sein wird für diese Art der Kunst“, sagt Brix.
Die Tendenz geht zur Abschottung. Das trifft auch das GES-2, das auch in personeller Hinsicht ein Beispiel dafür ist. Über die Gründe für ihren Abschied schweigt die Direktorin. Die Mutmaßungen reichen von Kritik an einem offensiv weltoffenen Kunstverständnis über eine umstrittene Ausstellung bis zu einem persönlichen, aber eben auch hochpolitischen Ausscheidungsgrund: Es gibt im GES-2Gebäude Unisex-Toiletten. Angeblich hat das Präsident Putin gar nicht gefallen, als er bei der Eröffnung zu Gast war.
Der österreichische Journalist Herwig G. Höller, Kenner der russischen Kulturszene, schrieb beim Abschied der Kulturmanagerin über „atmosphärische Auswirkungen auf den Kunstbetrieb in Russland“. Verstärkt würde dadurch die Befürchtung, „dass selbst für bestens vernetzte Superreiche, an deren Loyalität zum Kreml kein Zweifel besteht, die Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst zum politischen Risiko werden kann“.
Offenbar nutzt auch Vernetzung nicht viel, wenn man eine Art liberaler Insel mit dem Ziel einer Annäherung an internationale Kultur mitten in einem totalitären System betreiben will. Teresa Iarocci Mavica war bestens vernetzt, ist seit 1989 auch russische Staatsbürgerin. Sie hatte eine Galerie. Sie leitet die Kunstsammlung der Gazprombank, eines Tochterunternehmens des staatlichen Energiekonzerns. Sie sitzt in der Ankaufskommission der Tate Modern London. Offiziell bekannt wurde bei ihrem Abschied vom GES-2 nur, dass sie und Stiftungschef Leonid Michelson, dem eine Nähe zum Kreml nachgesagt wird, übereinkamen, dass sie sich künftig um die Zweigstelle der Stiftung in Venedig kümmere. Auch die ist mittlerweile geschlossen. Und auch als Organisatorin des russischen Pavillons der Biennale in Venedig hat sie nichts zu tun: Er bleibt heuer leer.
Gleich nach dem russischen Überfall auf die Ukraine machten Alexandra Sucharewa und Kirill Sawtschenkow, die mit ihrer Kunst ihr Land in Venedig vertreten sollten, klar: „Es gibt keinen Platz für Kunst, wenn Zivilisten unter dem Beschuss von Raketen sterben, wenn sich ukrainische Bürger in Bunkern verstecken und wenn russische Demonstranten zum Schweigen gebracht werden.“
Engagement für die Kunst als Geldwäsche?