Salzburger Nachrichten

Auch Familien haben ihre Geheimniss­e

Die Opéra de Lyon setzt mit einem neuen Intendante­n den Erfolgskur­s fort. Junge Regisseure locken junges Publikum zum Opernfesti­val.

- Festival: „Familienge­heimnisse“, Opéra de Lyon, bis 10. April.

LYON. Mitten in der Pandemie ist er 2021 eingestieg­en, Richard Brunel, der neue Intendant der Opéra de Lyon. 18 Jahre lang hatte sein Vorgänger Serge Dorny das markante Opernhaus geleitet und es zu einem internatio­nal bestaunten Brennpunkt bis hin zum „Opernhaus des Jahres“geführt. Brunel will Dornys innovative­n Kurs fortsetzen, der möglichst vielen Menschen Oper näherbring­en wollte. Das führte in Lyon zu einem außerorden­tlichen Altersdurc­hschnitt im Publikum: Selten sieht man derart viele junge Menschen in Opernhäuse­rn. Brunel hat viele Ideen, die er auch bei gekürztem Budget durchziehe­n will. Lyon bleibt weiterhin interessan­t.

Und eine Tradition Dornys führt Brunel ebenso fort, das jährliche Opernfesti­val, das am Wochenende vor ausverkauf­tem Haus startete. Drei Produktion­en sind gebündelt, „Rigoletto“eröffnete die Aufführung­sserie. „Trauernach­t“nannte Katie Mitchell ihre Szenenfolg­e einer Totenwache, die sie entlang einer Auswahl aus Bach-Kantaten zusammenfü­gte. Mit Spannung erwartet wurde Franz Schrekers Opernrarit­ät „Irrelohe“, die sich mit der Geschichte um ein düsteres Generation­enerbe am engsten an das Festivalmo­tto „Familienge­heimnisse“schmiegt.

Die Idee, „Rigoletto“und „Irrelohe“deutschen Regisseure­n der jungen Generation anzuvertra­uen, stammt noch von Dorny. Dass Axel Ranisch vor allem das Machogehab­e in Verdis „Rigoletto“auf Standfesti­gkeit abklopfen würde, war zu erwarten. Ranisch ließ viele ein wenig ratlos zurück, Buhs sind eigentlich selten in Lyon. Er verdoppelt­e Figuren, ließ seine Gedanken in Videos sprießen. Rigoletto hat einen stummen Zeugen, Doppelgäng­er, Besserwiss­er, der es im „wirklichen“Leben anders machen würde als der Narr von Mantua. Die VaterTocht­er-Beziehung wurde so ausgebaut, Geschlecht­errollen infrage gestellt, im multifunkt­ionalen Plattenbau­ambiente wurde es überrasche­nd suizidal. Allerdings hatte Ranisch auch witzige Einfälle, ein kleiner Trost. Die Besetzung war durchwegs ordentlich, Dalibor Jenis als Rigoletto und Nina Minasyan als blitzsaube­re Gilda stachen heraus neben dem Ukrainer Roman Chabaranok als Monterone und Gianluca Buratto als Sparafucil­e. Daniele Rustioni, der neue Chefdirige­nt, führte ausgezeich­net durch die Verdi-Italianità.

Im Gegensatz zu Ranisch hielt sich David Bösch bei „Irrelohe“erstaunlic­h nahe am Libretto. Die „schräge“Geschichte eines Familienfl­uchs umzudeuten wäre schon ob der Unbekannth­eit unklug gewesen, Bösch erzählte im hochästhet­ischen Bühnenbild mit Dauernebel die Tragik von Vergewalti­ger-Adel und seinen Opfern bis zum zugespitzt­en Finale. Toll gesungen von Tobias Hächler (Graf Heinrich), Julian Orlishause­n (Halbbruder Peter), Ambur Braid (verwirrter Liebesmitt­elpunkt Eva), Lioba Braun (alte Lola) oder Michael Gniffke (Brandstift­er Christobal­d). Auch wenn auf der Bühne zuletzt das Schloss abgefackel­t wird, so setzte Dirigent Bernhard Kontarsky im Graben mitunter zu sehr auf Feuer.

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BILD: SN/ OPÉRA DE LYON/ BERTRAND STOFLETH „Rigoletto“im Plattenbau: Gianluca Buratto als Sparafucil­e, Dalibor Jenis in der Titelrolle.

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