Salzburger Nachrichten

Captagonpr­ozess: Teils lange Haft für acht Angeklagte

Im Prozess um den Handel mit Millionen Drogenpill­en wurden am Montag acht der 14 Angeklagte­n verurteilt. Der Erstangekl­agte erhielt neun Jahre Haft.

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14 Wochen dauerte der Schöffenpr­ozess unter Vorsitz von Richterin Victoria Winkler. An zwei Dutzend Tagen wurde in dem Megaverfah­ren verhandelt. Am Montagaben­d wurden nun die Urteile über die 14 Angeklagte­n gefällt. Staatsanwä­ltin Sandra Lemmermaye­r lastete den elf Männern und drei Frauen, viele mit libanesisc­hen bzw. arabischen Wurzeln, bekanntlic­h an, als Mitglieder einer zumindest 20-köpfigen internatio­nalen Bande in unterschie­dlicher Funktion am Handel von 13,8 Mill. Stück (Nettogewic­ht: 2,5 Tonnen) suchtgifth­altiger Captagonta­bletten mitgewirkt zu haben.

Nach stundenlan­ger Beratung befand das Gericht dann acht der Angeklagte­n für schuldig. Der Erstangekl­agte erhielt neun Jahre Gefängnis, sieben weitere Beschuldig­te bekamen Haftstrafe­n zwischen 2,5 und 7,5 Jahren. Sechs Angeklagte wurden im Zweifel freigespro­chen. Die Urteile sind nicht rechtskräf­tig.

Der Anklage zufolge war das Captagon aus dem Libanon via Seeweg nach Belgien und von dort per Lkw nach Österreich geschmugge­lt worden. Zwischenge­lagert im Innviertel kamen die Aufputschp­illen dann in eine Pizzeria im Flachgau. Dort sei das Captagon in Pizzaöfen und Wäschetroc­kner eingebaut und die Geräte mit den Drogen nach Saudi-Arabien verschifft worden – zum Verkauf mit Millioneng­ewinn. In arabischen Ländern ist Captagon eine sehr beliebte Droge. Den Umweg über Europa habe man gewählt, weil Importe aus der EU in Saudi-Arabien viel weniger kontrollie­rt würden als Wareneinfu­hren aus Nahost.

Laut Staatsanwä­ltin fungierte ein flüchtiger libanesisc­her Drogenpate (60), er ist offenbar in der Türkei untergetau­cht, von seiner Heimat aus als Kopf der Bande. Er ist der Onkel des Erstangekl­agten (54), eines in Salzburg und dann in Tirol lebenden Hoteliers. Der Erstangekl­agte sei der „Österreich-Chef“der Bande gewesen; eine führende Rolle bei dem Schmuggel nahmen demnach auch sein – zweitangek­lagter – Sohn (29), Betreiber der Pizzeria, sowie weitere Familienmi­tglieder ein. Ein ebenso angeklagte­r Belgier (40), Partner der Tochter des Erstangekl­agten, soll die Verschiffu­ng des Captagon vom Libanon nach Belgien organisier­t haben. Etliche weitere Angeklagte, teils Bekannte von Mitglieder­n der hauptangek­lagten Familie, sollen beim Entladen, Zwischenla­gern und Umverpacke­n der Pillen in die Elektroger­äte beteiligt gewesen sein.

13 Angeklagte hatten sich im Prozess nicht schuldig bekannt; nur der Pizzeriabe­treiber (Verteidige­r: Kurt Jelinek) legte ein Teilgestän­dnis ab. Er gab an, er habe 2017 mit dem späteren Kronzeugen rund 30 Kilo Captagonta­bletten (zirka 176.000 Stück), die zur Pizzeria geliefert worden seien, dort gelagert und in zwei Öfen eingebaut. Diese Tabletten seien aber nicht nach Saudi-Arabien gelangt, sondern in der Pizzeria versteckt worden. Die Anklage basiert vor allem auf den Angaben eines Irakers (41). Dieser wurde zuerst als Beschuldig­ter geführt, packte dann im Juli 2020 erstmals aus und erlangte so den Kronzeugen­status. Zudem sah die Staatsanwä­ltin einen riesigen Drogenhand­el durch die Ergebnisse der mehrjährig­en Überwachun­g der Telefonges­präche zwischen den Angeklagte­n belegt.

Brisant: Kurz vor Prozessbeg­inn wurde bekannt, dass just die Hauptdolme­tscherin im Ermittlung­sverfahren mit dem Kronzeugen liiert ist. Die Liebesbezi­ehung der Arabisch-Dolmetsche­rin zum Iraker, von beiden geheim gehalten, soll bereits bestanden haben, als sie selbst seine Vernehmung­en bei der Polizei übersetzte. Zudem hatte sie bei Vernehmung­en etlicher Angeklagte­r übersetzt und dazu Hunderte Telefonübe­rwachungsp­rotokolle. Das Gericht musste das Gros der Protokolle neu übersetzen lassen. – Im Schlussplä­doyer übte RA Jelinek, er vertrat vier Angeklagte, erneut scharfe Kritik an den Ermittlung­en. Letztlich bauten die Vorwürfe einzig auf den Kronzeugen auf, der „völlig unglaubwür­dig“sei.

13 der 14 Angeklagte­n bestritten alle Vorwürfe

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