Politik im ewigen Preiskampf
Als sich die Regierung mit dem Brot- und Bierpreis beschäftigte und daraufhin kleinere Brötchen gebacken wurden. Ein historischer Rückblick auf amtliche Preisregelungen.
„Die Bierpreiserhöhung ist eine Schweinerei“, schimpft der Mann mit dem Hut ins ORF-Mikrofon. „Weil wir Arbeiter brauchen das Bier. Es gibt uns Kraft!“– Als 1972 der Bierpreis angehoben wird, entlädt sich bei einer Straßenbefragung der Zorn der Bevölkerung auf die Politik. Denn amtliche Preisregelungen sind dann populär, wenn sie für Preissenkungen oder zumindest Preisdeckelungen sorgen. Wenn nicht, dann nicht.
Dass der Staat die Preise regelt, gehört seit alters zum politischen Geschäft – vor allem bei lebenswichtigen Gütern. Erst 1988 wurde in Österreich die amtliche Preisregelung für Brot und Semmeln abgeschafft. Bis dahin war der Brotpreis ein eminentes Politikum.
In der Mangelzeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg stand die Regierung der galoppierenden Inflation nahezu hilflos gegenüber. Der von ihr festgesetzte staatliche Brotpreis deckte bald nicht einmal mehr die Kosten des Backens. Sie sah sich daher dazu gezwungen, den Brotpreis zu stützen. Im Budgetjahr 1920/21 verschlangen diese Lebensmittelsubventionen fast 60 Prozent des Gesamtbudgets.
Trotzdem kam es zu massiven Teuerungsprotesten, woraufhin sich die Regierung selbst in die Brotpreis-Kalkulation einschaltete. Der Chef der Wiener Ankerbrotfabrik wurde sogar verhaftet und wegen Preistreiberei zu schwerem Kerker verurteilt. Doch der Brotpreis drohte weiter zu steigen. Daraufhin einigte sich die Regierung 1926 mit den Brotfabriken auf einen Taschenspielertrick: Der Preis für den Normallaib wurde bei 70 Groschen eingefroren, sein Gewicht aber um drei Deka verringert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Regierung vor den gleichen Problemen wie nach dem Ersten: Mangel, Hunger, Inflation. Arbeitgeber und Arbeitnehmer steuerten dagegen: Um der ewigen Spirale von höheren Preisen und höheren Lohnforderungen zu entgehen, einigten sich beide Seiten in insgesamt fünf Lohn-Preis-Abkommen auf Maßhalten und versuchten, die Preis- und Lohnentwicklung zu regulieren. Als im 4. Lohn-Preis-Abkommen eine Preiserhöhung bei Mehl um 64 Prozent, bei Zucker um 34 Prozent und bei Brot um 26 Prozent vorgesehen wurde, kam es im Oktober 1950 zu Protesten, die von den Kommunisten zu einem Putschversuch genutzt wurden.
Nach dem 5. Lohn-Preis-Abkommen setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Inflation so nicht bekämpft, sondern sogar noch angeheizt wurde. Außerdem machten die westlichen Kreditgeber Druck auf Österreich, dass es sich vom staatlichen Dirigismus verabschiede und mehr Wettbewerb in der Wirtschaft zulasse. Zu diesem Zeitpunkt war in Österreich nahezu alles preisreguliert. Amtliche Höchstpreise galten unter anderem für
„Rahm, Obers, Butter, Schlachtrinder, Schweineschmalz, Eier“, listete das Preisregelungsgesetz 1950 auf. Die Liste reichte bis zu „Fußbekleidung aller Art (mit Ausnahme von Gamaschen und Nylonstrümpfen), Geschirr, Bettwäsche, Ziegel, Steckdosen und Zündhölzer“.
Der damalige Finanzminister Reinhard Kamitz warb in den 50erJahren dafür, dass der Markt nicht böse sei, sondern dass Wettbewerb auch zu mehr Qualität und sinkenden Preisen führen könne. Gemeinsam mit Bundeskanzler Julius Raab schlug er den „Raab-Kamitz-Kurs“in Richtung sozialer Marktwirtschaft ein, die von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam gestaltet wurde. Als es 1957 zu einem Preisauftrieb kam, setzten sie die Paritätische Kommission für Lohn- und Preisfragen ein. Zunächst als Provisorium für nur ein Jahr geplant, entwickelte sich daraus das zentrale Gremium der Sozialpartnerschaft. 1960 schloss sie ein „Kaufkraftstabilisierungsabkommen“, das alle Betriebe dazu verpflichtete, beabsichtigte Preiserhöhungen zur Genehmigung vorzulegen, andernfalls drohe ihnen ein Verfahren wegen Preistreiberei.
Diese direkte Einflussnahme des Staates auf die Preise funktionierte freilich nur so lange, als Österreich ein abgeschotteter Wirtschaftsraum war. Heute kann die Regierung steigende Preise nicht mehr verhindern, sondern nur versuchen, sie zu kompensieren.
Preisregelung für Eier, Ziegel und Zündhölzer