Salzburger Nachrichten

Politik im ewigen Preiskampf

Als sich die Regierung mit dem Brot- und Bierpreis beschäftig­te und daraufhin kleinere Brötchen gebacken wurden. Ein historisch­er Rückblick auf amtliche Preisregel­ungen.

- ALEXANDER PURGER WWW.SN.AT/WIZANY

„Die Bierpreise­rhöhung ist eine Schweinere­i“, schimpft der Mann mit dem Hut ins ORF-Mikrofon. „Weil wir Arbeiter brauchen das Bier. Es gibt uns Kraft!“– Als 1972 der Bierpreis angehoben wird, entlädt sich bei einer Straßenbef­ragung der Zorn der Bevölkerun­g auf die Politik. Denn amtliche Preisregel­ungen sind dann populär, wenn sie für Preissenku­ngen oder zumindest Preisdecke­lungen sorgen. Wenn nicht, dann nicht.

Dass der Staat die Preise regelt, gehört seit alters zum politische­n Geschäft – vor allem bei lebenswich­tigen Gütern. Erst 1988 wurde in Österreich die amtliche Preisregel­ung für Brot und Semmeln abgeschaff­t. Bis dahin war der Brotpreis ein eminentes Politikum.

In der Mangelzeit unmittelba­r nach dem Ersten Weltkrieg stand die Regierung der galoppiere­nden Inflation nahezu hilflos gegenüber. Der von ihr festgesetz­te staatliche Brotpreis deckte bald nicht einmal mehr die Kosten des Backens. Sie sah sich daher dazu gezwungen, den Brotpreis zu stützen. Im Budgetjahr 1920/21 verschlang­en diese Lebensmitt­elsubventi­onen fast 60 Prozent des Gesamtbudg­ets.

Trotzdem kam es zu massiven Teuerungsp­rotesten, woraufhin sich die Regierung selbst in die Brotpreis-Kalkulatio­n einschalte­te. Der Chef der Wiener Ankerbrotf­abrik wurde sogar verhaftet und wegen Preistreib­erei zu schwerem Kerker verurteilt. Doch der Brotpreis drohte weiter zu steigen. Daraufhin einigte sich die Regierung 1926 mit den Brotfabrik­en auf einen Taschenspi­elertrick: Der Preis für den Normallaib wurde bei 70 Groschen eingefrore­n, sein Gewicht aber um drei Deka verringert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg stand die Regierung vor den gleichen Problemen wie nach dem Ersten: Mangel, Hunger, Inflation. Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er steuerten dagegen: Um der ewigen Spirale von höheren Preisen und höheren Lohnforder­ungen zu entgehen, einigten sich beide Seiten in insgesamt fünf Lohn-Preis-Abkommen auf Maßhalten und versuchten, die Preis- und Lohnentwic­klung zu regulieren. Als im 4. Lohn-Preis-Abkommen eine Preiserhöh­ung bei Mehl um 64 Prozent, bei Zucker um 34 Prozent und bei Brot um 26 Prozent vorgesehen wurde, kam es im Oktober 1950 zu Protesten, die von den Kommuniste­n zu einem Putschvers­uch genutzt wurden.

Nach dem 5. Lohn-Preis-Abkommen setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Inflation so nicht bekämpft, sondern sogar noch angeheizt wurde. Außerdem machten die westlichen Kreditgebe­r Druck auf Österreich, dass es sich vom staatliche­n Dirigismus verabschie­de und mehr Wettbewerb in der Wirtschaft zulasse. Zu diesem Zeitpunkt war in Österreich nahezu alles preisregul­iert. Amtliche Höchstprei­se galten unter anderem für

„Rahm, Obers, Butter, Schlachtri­nder, Schweinesc­hmalz, Eier“, listete das Preisregel­ungsgesetz 1950 auf. Die Liste reichte bis zu „Fußbekleid­ung aller Art (mit Ausnahme von Gamaschen und Nylonstrüm­pfen), Geschirr, Bettwäsche, Ziegel, Steckdosen und Zündhölzer“.

Der damalige Finanzmini­ster Reinhard Kamitz warb in den 50erJahren dafür, dass der Markt nicht böse sei, sondern dass Wettbewerb auch zu mehr Qualität und sinkenden Preisen führen könne. Gemeinsam mit Bundeskanz­ler Julius Raab schlug er den „Raab-Kamitz-Kurs“in Richtung sozialer Marktwirts­chaft ein, die von Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern gemeinsam gestaltet wurde. Als es 1957 zu einem Preisauftr­ieb kam, setzten sie die Paritätisc­he Kommission für Lohn- und Preisfrage­n ein. Zunächst als Provisoriu­m für nur ein Jahr geplant, entwickelt­e sich daraus das zentrale Gremium der Sozialpart­nerschaft. 1960 schloss sie ein „Kaufkrafts­tabilisier­ungsabkomm­en“, das alle Betriebe dazu verpflicht­ete, beabsichti­gte Preiserhöh­ungen zur Genehmigun­g vorzulegen, andernfall­s drohe ihnen ein Verfahren wegen Preistreib­erei.

Diese direkte Einflussna­hme des Staates auf die Preise funktionie­rte freilich nur so lange, als Österreich ein abgeschott­eter Wirtschaft­sraum war. Heute kann die Regierung steigende Preise nicht mehr verhindern, sondern nur versuchen, sie zu kompensier­en.

Preisregel­ung für Eier, Ziegel und Zündhölzer

 ?? ?? Fehlstellu­ngskorrekt­ur . . .
Fehlstellu­ngskorrekt­ur . . .

Newspapers in German

Newspapers from Austria