Salzburger Nachrichten

Gesprächsf­etzen, die mich begleiten

Wir führen Gespräche, die wir nie für möglich hielten. Weil in unserem Land geschieht, was wir nie für möglich hielten.

-

Von Freunden oder Bekannten höre oder lese ich folgende Sätze. Sie hallen nach.

Aus Lemberg:

„Wie findest du die Sirene heute? – Nicht überzeugen­d. Schlafen wir noch ein bisschen.“

„Die Sirene heult schon seit einer Stunde. – Und? – Ist das nicht zu lange? Bringen sie die Rakete jetzt auf dem Fahrrad oder wie?“

„Wollen wir uns treffen? – Tagsüber bin ich beim Militär. Abends arbeite ich, ab und zu übernachte­n Flüchtling­e bei uns. Ehrlich gesagt habe ich nicht viel Zeit. Gerne nach dem Sieg.“

„Ist die Jacke bitte wirklich kostenlos? Wir mussten dringend auf die Straße und hatten keine Zeit, über Kleidung nachzudenk­en. Zurückkehr­en und welche holen geht auch nicht, unser Haus liegt in Trümmern.“

„Meine Bekannte ist mit Kindern ins Ausland ausgereist. Jetzt wohne ich in ihrem Haus im Vorort.“

Aus Kyjiw:

„Meine Eltern und Omas bleiben auch hier. Es ist schwierig für ältere Menschen, ihr Zuhause zu verlassen. Besonders für die, denen ihr Grund, die Erde am Herzen liegt. Zwang und Druck funktionie­ren da nicht.“

„Im Geschäft neben meinem Haus gibt es genug Lebensmitt­el. Nur der Friseur fehlt mir sehr.“

„Jedes Mal, wenn meine Mama in mein Zimmer hereinstür­mt, weiß ich, dass eine weitere Rakete Kyjiw getroffen hat.“

„Meine Freundin wohnt am anderen Ende der Stadt. Ich überlege, wie ich zu ihr gelangen könnte. Die Tram fährt nicht mehr, und ich habe sie seit einem Monat nicht mehr gesehen.“

„Meine Motivation zu bleiben ist ganz einfach. Erstens ist das mein Zuhause. Zweitens sind die meisten Bekannten auch geblieben. Drittens ist ein Freund von mir beim Militär. Jemand muss seinen Eltern helfen.“

„Ich habe eine neue Katze. Die Besitzer sind ohne sie geflohen. Weiß noch nicht, wie ich sie nennen werde. Mein Kater ist sehr unzufriede­n.“

Aus Mariupol:

„Ich bin sicher, dass ich bald sterbe. Vielleicht in ein paar Tagen. Ich wünsche mir nur einen Tod, der nicht zu hässlich ist, und träume davon, dass alle meine Körperteil­e selbst nach dem Tod intakt bleiben.“

„Es gab für uns eine Möglichkei­t, die Stadt zu verlassen. Wir sind nach Iwano-Frankiwsk gekommen. Wir haben hier Unterkunft und Essen. Keine Ahnung, wie es weitergeht.“

 ?? ?? Daryna Melashenko ist 26 Jahre alt und von Bojarka bei Kiew nach Lemberg zu einem Freund geflohen.
Daryna Melashenko ist 26 Jahre alt und von Bojarka bei Kiew nach Lemberg zu einem Freund geflohen.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria