Corona brachte Flut an Plastik
Tests, Gurgelröhrchen, Maske: Plastik boomt. Auch Lebensmittel wollen viele wieder verpackt. Greiner-Chef Axel Kühner über hohe Umsätze und niedrige Recyclingquoten.
Mit 12.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und knapp 2 Mrd. Euro Umsatz ist das Familienunternehmen Greiner aus Kremsmünster einer der weltweit führenden Kunststoffproduzenten. Die hohe Nachfrage nach Plastikverpackungen, aber auch Kunststoffröhrchen für PCR-Gurgeltests brachte Greiner 2020 das „beste Jahr in der Firmengeschichte“. 2021 legte man weiter zu. Warum man von der Krise profitierte und wie man Verantwortung für die Umwelt zeigen will.
SN: Zuletzt lautete das Motto: Weg von Plastik. Jetzt scheint alles anders zu sein: Hat Corona den Trend umgekehrt?
Axel Kühner: Ich würde nicht sagen, den Trend umgedreht, aber den Fokus verändert. Die Frage ist eigentlich nicht, ob man Plastik vermeiden soll, sondern wo man Plastik vermeiden kann. Auch für uns als Kunststoffkonzern gilt nicht: je mehr Plastik, umso besser. Für jedes Produkt muss man überlegen, was die beste Verpackung ist. Dort, wo es Plastik ist, soll man es verwenden, sonst nicht. Die Pandemie hat vielen wieder klar gemacht, dass es manchmal gut ist, eine schützende Verpackung für Lebensmittel zu haben, damit diese hygienisch sind, länger halten und nicht so oft weggeschmissen werden.
SN: Greiner hat nicht nur mit Verpackungen gut verdient, auch mit Gurgelröhrchen.
Es ist uns gelungen, ein Virusstabilisierungsröhrchen zu entwickeln, das sind jene Röhrchen, die Sie etwa von „Alles gurgelt“kennen. Beim PCR-Test ermöglicht die darin enthaltene Flüssigkeit, dass das Virus stabil bleibt und damit bis zu 72 Stunden lang nachgewiesen werden kann, nur so sind verlässliche Ergebnisse möglich. Auf den Markt gebracht haben wir das in den USA, dann in Europa. Bis heute konnten wir eine dreistellige Millionenanzahl dieser Röhrchen verkaufen.
SN: Die Flut an Plastikmüll ist größer geworden statt kleiner.
Es gibt unterschiedliche ökologische Ziele: Wichtig ist, die Vermüllung der Meere zu vermeiden. Das bedeutet: Man muss schauen, dass weniger Verpackungen in die Umwelt gelangen. Gleichzeitig ist aber auch ein Umweltziel, den Klimawandel zu bekämpfen. Kunststoffprodukte haben durch das geringere Gewicht, durch die geringere Energie, die man zur Herstellung braucht, eine niedrigere CO2-Bilanz als vergleichbare Verpackungsmaterialien. Das Thema ist nicht schwarz-weiß. Wenn man, um Plastik in der Umwelt zu vermeiden, auf andere Produkte umstellt, kann das auch eine schädliche Auswirkung aufs Klima haben. Kurzfristig macht es damit manchmal wenig Sinn, Plastik zu ersetzen. Langfristig geht es ums Recyceln, nur die Kreislaufwirtschaft kann die Lösung sein.
SN: In Österreich werden nur 30 Prozent des Plastiks recycelt. Warum nicht mehr?
Recyceln ist manchmal von der Gesetzgebung her, manchmal aber auch technologisch bisher gar nicht möglich. Es gibt nur einen wirklich funktionierenden Kreislauf, und der macht den Großteil dieser 30 Prozent aus, das sind die PET-Flaschen. Die werden so sortenrein gesammelt, dass man sie auch hinterher wieder für Lebensmittel verwenden darf. Laut EU-Gesetz muss man, wenn man Altplastik wieder zur Lebensmittelverpackung verwenden will, sicherstellen, dass 95 Prozent der gesammelten Menge Lebensmittelverpackungen waren. Das funktioniert bei PET-Flaschen, bei Joghurtbechern oder anderen
Lebensmittelverpackungen aber nicht, die wirft man gemeinsam mit Hundefutterverpackungen und Putzmittel in die gelbe Tonne.
SN: Wie könnte man dieses Problem lösen?
Eine Möglichkeit wäre eine Standardisierung von Materialien, also weniger unterschiedliche Materialien einzusetzen. Die muss man aber auch anders sammeln und sortieren, das braucht Investitionen in moderne Sortiertechnologien. Man kann aber auch Produkte schon so entwickeln, dass sie besser recycelbar sind. Etwa indem man auf schwarze Farbe verzichtet, die kann das Infrarotsystem der Sortiermaschinen nicht erkennen.
SN: Wie viel recyceltes
Material verwendet Greiner derzeit?
Im Bereich Packaging, also Lebensmittelverpackung, sind das unter zehn Prozent. Unser Ziel ist, dass bis 2025 alle diese Produkte recycelbar oder kompostierbar sind.
SN: Sie produzieren aber auch Schaumstoff, also
Matratzen oder Autositze.
Hier wird weltweit bisher gar nichts recycelt. Wir haben da gerade mit BASF eine exklusive Entwicklungspartnerschaft begonnen, um dafür ein Recyclingverfahren zu entwickeln. Man kann jetzt auch Matratzen bei uns zurückgeben, hier stehen wir aber erst am Beginn.
SN: Auch in Österreich?
Bisher geht das nur in Deutschland, weil dort der Markt als Testmarkt größer ist. Längerfristig soll das aber in allen Ländern möglich sein.
SN: Wie recycelt man Matratzen? Indem man sie – vereinfacht gesagt – auf eine Art und Weise verbrennt, dass hinterher wieder die ursprünglichen Einsatzstoffe übrig bleiben. Im Grunde also soll man zum Ursprungsstoff Öl zurückkommen. Das funktioniert bisher noch nicht im industriellen Maßstab, im Labor aber sehr wohl.
SN: Wie sieht es in Ihrer dritten Sparte, der Medizin, aus?
Hier ist bisher aus gesetzlichen Gründen kein Recyceln möglich, Krankenhausmüll, wie etwa Blutabnahmeröhrchen, muss verbrannt werden. Ich bin aber überzeugt, dass es in einigen Jahren Lösungen geben wird, wenn etwa auf chemisches Recycling gesetzt wird.
SN: Rein technisch könnte man also mehr recyceln?
Für ein funktionierendes Kreislaufsystem braucht es die gesamte Wertschöpfungskette, vom Handel über die Markenhersteller bis zu den Müllunternehmen. Wir als Kunststoffproduzent sehen uns als Systemintegrator, der jedem sagen kann, was der andere braucht. Wir können mehr recycelbares Plastik herstellen. Aber nur, wenn sich alle anderen aufeinander abstimmen – entsprechende Produkte herstellen, in die Regale nehmen und dann beim Müll trennen –, kann man die Recyclingquoten erhöhen.
SN: Bringt das höhere Kosten? Wenn etwas innovativ ist, hat es immer zunächst einen höheren Preis, der sich dann aber über die Zeit und den Erfolg anpasst. Es braucht clevere Lösungen: Wir haben im Vorjahr einen Joghurtbecher entwickelt, bei dem sich Karton und Kunststoff von selbst trennen. Nimmt man einen dünneren Plastikbecher und drumherum einen stabileren Karton, musste der Kunde das bisher vor dem Wegwerfen in Papier und Plastik trennen. Der neue Becher trennt sich, wenn er im Müllfahrzeug zusammengedrückt wird, von selbst. Der Konsument muss ihn nur noch wegschmeißen. Die meisten Kunden wollen darüber nachdenken, was in dem Produkt ist, nicht, wie es verpackt ist.
SN: Die 193 Länder der UNO haben sich geeinigt, ein verbindliches Abkommen gegen die Plastikverschmutzung auszuverhandeln. Zwingt das die Industrie, umzudenken? Wir als Kunststoffverarbeiter haben das unterstützt, weil auch wir eine Verantwortung haben, dass weniger Plastik in der Umwelt landet. Etwa indem wir recyclingfähige Verpackungen und innovative Lösungen entwickeln. Wenn jetzt weltweit geltende Vereinbarungen getroffen werden sollen, wie man Plastik sammeln und recyceln muss, so bringt das gesellschaftlich sicher etwas weiter.