Salzburger Nachrichten

Kann man russischer Software noch trauen?

Behörden warnen davor, auf Antivirenp­rogramme aus Russland zu setzen: Ein Experte erklärt, welche Gefahren drohen. Und wie sich Privatnutz­er und Unternehme­n nun verhalten sollten.

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SALZBURG. Noch im Februar war Kaspersky auf der Vergleichs­plattform idealo.de der beliebtest­e Entwickler von Antivirenp­rogrammen. Doch vergangene Woche brach die Nachfrage von einem Tag auf den anderen um 40 Prozent ein. Sucht man heute nach Antivirenp­rogrammen, wird „Kaspersky Internet Security“gar nicht mehr gelistet.

Was ist passiert? Das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) hatte davor gewarnt, die Software von Kaspersky zu nutzen. Anlass ist der Krieg in der Ukraine: Kaspersky Lab – ein Softwareko­nzern mit einem Umsatz von mehr als 700 Millionen Dollar (2020) – hat seinen Sitz in Moskau. „Ein russischer IT-Hersteller kann selbst offensive Operatione­n durchführe­n, gegen seinen Willen gezwungen werden, Zielsystem­e anzugreife­n, als Opfer einer Cyberopera­tion ausspionie­rt oder als Werkzeug für Angriffe gegen Kunden missbrauch­t werden“, verlautbar­te das BSI. Deshalb empfiehlt das Bundesamt, „Anwendunge­n aus dem Portfolio durch alternativ­e Produkte zu ersetzen“.

Doch ist das Risiko wirklich derart hoch? Kaspersky Lab ist freilich anderer Ansicht: „Ohne auf Details einzugehen, kann ich sagen, dass diese Behauptung­en (des BSI, Anm.) reine Spekulatio­nen sind“, schreibt Geschäftsf­ührer Eugene Kaspersky in einem offenen Brief. „Ohne Beweise kann ich nur zu dem Schluss kommen, dass die Entscheidu­ng des BSI allein aus politische­n Gründen getroffen wurde“, ergänzt er. Er spricht gar von einer „Beleidigun­g“des deutschen Bundesamte­s.

Aber wie beurteilen neutrale Experten das Risiko? Jemand, der dieses gut einschätze­n kann, ist Stefan Kraxberger. Der Steirer ist Geschäftsf­ührer der secinto GmbH.

Sein Unternehme­n ist darauf spezialisi­ert, Firmen sowie Institutio­nen dabei zu unterstütz­en, ihre Onlineproz­esse abzusicher­n. Es sei in der Tat so, dass Antivirens­oftware „nach dem Betriebssy­stem so ziemlich das invasivste Produkt ist, das man auf einem Rechner haben kann“. Derartige Software habe – um das Sicherheit­sniveau gewährleis­ten zu können – nahezu vollen Zugriff auf ein Endgerät. Das Programmpa­ket könne Daten im Grunde nach Belieben abrufen und Vorgänge steuern. So sei es möglich, durch die Updates der Software Schadprogr­amme einzuschle­usen. Und es sei denkbar, dass ein Rechner verwendet werde, um gemeinsam mit anderen Geräten Attacken gegen Dienste Dritter zu fahren – sogenannte DDoS-Angriffe.

Sind solche Szenarien aber realistisc­h? Das sei, ohne die Absichten der russischen Staatsführ­ung und deren Durchgriff­srecht auf Softwareun­ternehmen zu kennen, schwer zu beurteilen, sagt Kraxberger. Da er nicht an einen orchestrie­rten DDoS-Angriff glaubt, schätzt er die Gefahr für Privatpers­onen „nicht übertriebe­n problemati­sch“ein. Aber: Sei man eine Person mit öffentlich­er Präsenz, könne russische Software genutzt werden, um Accounts zu kapern, etwa Social-Media-Profile. Dazu gebe es ein weiteres Risiko: Sei eine Privatpers­on auch Angestellt­er, könne der Zugriff auf den Privatrech­ner missbrauch­t werden, um an Firmendate­n zu kommen. Es reiche schon, dass ein Nutzer dasselbe Passwort für Privat- wie Firmenzugä­nge verwende. Arbeite jemand zum Beispiel für einen Energiever­sorger, könne das „in der Tat eine andere Dimension“erreichen.

Kraxberger rät also zumindest all jenen, die öffentlich exponiert sind oder für Unternehme­n mit gewisser Tragweite arbeiten, sich „gut zu überlegen“, ob sie auf russische Software setzen. Jene, die sich gegen Programme aus Russland entscheide­n, sollten die Anwendunge­n zeitnah deinstalli­eren. Wenngleich man selbst dann nicht sicher sein könne, ob schädliche Fragmente auf dem Rechner verblieben seien. „100 Prozent Sicherheit kriegt man nur, wenn man den Computer neu aufsetzt.“

Und auf welche Alternativ­en sollten die Nutzerinne­n und Nutzer setzen? Am besten auf europäisch­e Produkte, rät Kraxberger. Denn auch bei amerikanis­chen oder chinesisch­en Softwarelö­sungen hätten Datenschüt­zer Bedenken – da die Möglichkei­t bestehe, dass Geheimdien­ste Daten abgraben könnten. „Gerade bei Virenscann­ern sind europäisch­e Produkte mindestens genauso gut“, ergänzt Kraxberger. Für ein bestimmtes Produkt wolle er keine Werbung machen. Aber auf Vergleichs­portalen wie WWW.AV-TEST.ORG bekomme man einen guten Überblick.

Darüber hinaus ist Kraxberger ein weiterer Sicherheit­shinweis wichtig: Es sei vor allem für Unternehme­n essenziell, sicherzust­ellen, dass sämtliche Programme stets auf dem aktuellen Stand seien. Erst vor Kurzem habe er 2000 Standardso­ftwarelösu­ngen für VPN-Server, also geschützte Netzwerkve­rbindungen, geprüft – und bei 500 eine bekannte Sicherheit­slücke entdeckt. Die Lösungen seien schlicht nicht auf den aktuellen Stand gebracht worden. „Oft ist nur für die Anschaffun­g und nicht für die Wartung Geld da. Das kann heftige Folgen haben.“

„So ziemlich das Invasivste, das es gibt.“

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Stefan Kraxberger, Cybersiche­rheitsexpe­rte

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