Salzburger Nachrichten

Pinzgauer Eis kühlte Münchner Bier

Das Eisschneid­en war im 19. Jahrhunder­t ein bedeutende­r Wirtschaft­sfaktor.

- Anton Kaindl ANTON.KAINDL@SN.AT

Der Winter 2021/22 ist zu Ende und auch heuer ist der Zeller See nicht zugefroren. Seit 2017 hat sich keine tragfähige Eisdecke mehr gebildet. Früher war das die absolute Ausnahme. Von Beginn der meteorolog­ischen Aufzeichnu­ngen 1875 bis 2000 war der See nur zwei Mal nicht zugefroren. Als Grund für die Veränderun­g wird vermutet, dass der See im Sommer um rund zwei Grad wärmer wird als früher, was zur Folge hat, dass es im Herbst und Winter länger dauert, bis sich das Seewasser durchmisch­t und vollständi­g abkühlt. Und dann ist es oft zu spät. Auch früher fror der See wegen der nötigen Durchmisch­ung meist erst Mitte Jänner zu.

Das fehlende Eis wäre für Bierliebha­ber im 19. Jahrhunder­t eine schlechte Nachricht gewesen. Bis um 1900 konnte man Lebensmitt­el nur mit Natureis kühlen. In gut isolierten Eishäusern hielten sich die im Spätwinter geernteten Eisblöcke bis in den Herbst. In manchen Gasthauske­llern und Privathaus­halten nutzte man Natureis bis in die 1950er-Jahre. In den Städten kam es anfangs von Weihern und Teichen in der Nähe, weil es an Transportm­öglichkeit­en fehlte. Mit der Eröffnung der Westbahn 1860 und der Giselabahn von Salzburg über Zell am See nach Wörgl 1875 konnte man neue Eisquellen für den wachsenden Bedarf erschließe­n. Für Gemeinden an der Bahn wurde der Verkauf von Eis zum wichtigen Wirtschaft­sfaktor. Für die Bewohner bot sich im Winter eine willkommen­e Verdienstm­öglichkeit.

In Zell am See führt die Bahn direkt am See vorbei. Geerntet wurde das dann bis zu 60 Zentimeter dicke Eis von Mitte Februar bis Ende März. Arbeiter schnitten mit langen Sägen Blöcke heraus. 1884 zum Beispiel waren in Zell am See rund 450 Männer beim Eisschneid­en beschäftig­t. Über 3000 Waggons mit Eis gingen nach Wien und vor allem an Brauereien in München. Der Gemeinde, die den See 1860 vom Ärar gekauft hatte, brachte das

20.000 Gulden, in heutiger Währung fast 300.000 Euro. Auch am Grießensee zwischen Leogang und Hochfilzen, am Wallersee und an anderen Seen an Bahnstreck­en wurde Eis geerntet.

Eine weitere Möglichkei­t bot der sogenannte Birnbachgl­etscher in Leogang. Dabei handelt es sich um Lawinensch­nee, der sich im Winter am Fuß der BirnhornSü­dwand, einer der höchsten Wände der Ostalpen, sammelt. Obwohl der Birnbachgl­etscher in nur 1200 Metern Seehöhe liegt, kommt aus der Wand so viel Schnee zusammen, dass er sich auch heute meistens über den ganzen Sommer hält. Im

19. Jahrhunder­t schnitten und sprengten in manchen Jahren rund 150 Arbeiter das Eis aus dem Gletscher. Die Blöcke brachte man auf einer eigens errichtete­n 1600 Meter langen Rutsche ins Tal und von dort mit Fuhrwerken weiter zur nahen Bahnstatio­n. Über Kufstein und Rosenheim ging es dann nach München.

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19. Jahrhunder­t.
BILD: SN/ORTSGESCHI­CHTE LEOGANG Eisabbau am Birnbachgl­etscher bei Leogang im 19. Jahrhunder­t.
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