Bilder wie aus einer anderen Zeit
Ich habe wieder angefangen, Nachrichten zu übersetzen. Die Berichte aus Mariupol schockieren mich. Sie wirken aus der Zeit gefallen.
Am Mittwoch blieb die Sirene den ganzen Tag stumm. Das klingt fast surreal. Als ob man den Krieg auf Pause stellen könnte.
Wir machen einen Ausflug in eine andere Stadt. Nach etwa drei Stunden Fahrt sehen wir unser Ziel: das Feldlazarett einer humanitären Mission. Mein Freund hat hier etwas zu erledigen. Das Lazarett ist vor allem für Seniorinnen und Senioren und Menschen mit Behinderung. Es steht aber allen zur Verfügung, die woanders keine medizinische Hilfe erhalten.
20 Menschen stehen in einer Schlange vor dem Lazarett, vorwiegend ältere Menschen. Es gibt Stühle, sodass sie sich hinsetzen können und nicht die ganze Zeit stehen müssen. Ein Mann versucht, sich vorzudrängeln, worauf einige empört reagieren. Eine Frau sagt: „Wir haben alle Eile! Ich muss meinen Mann waschen, ohne mich geht das nicht.“
Im Auto mache ich mich schnell an die Arbeit. Seit Dienstag helfe ich wieder damit,
Nachrichten zu übersetzen. Das geht nur auf dem Handy. Es ist anstrengend, auf der kleinen Tastatur zu schreiben. Und wenn ich ein Wort im Wörterbuch oder auf Wikipedia nachschauen muss, dauert das gefühlt eine Ewigkeit. Jedoch ist kleine Hilfe besser als keine Hilfe, sage ich mir, und arbeite weiter.
Auf dem Weg sehe ich ein großes Poster, auf dem steht „Mariupol, halte fest! Wir heißen die Deinen willkommen. Lemberg“. Meine Freundin aus Mariupol ist jetzt in Kroatien. Sie schrieb in einem Facebook-Posting über ihre Flucht: „Selbst wenn Mariupol wieder aufgebaut wird, wird die Stadt nie wieder die gleiche sein. Auch andere Städte, wie sie einst waren, wird es nie mehr geben. Auch die Ukraine ist jetzt für immer anders. Und ich. Wir alle.“
Ich schaue mir die Aufnahmen von Mariupol an. Sie schockieren mich sehr. Die Russen haben die Stadt zu einer Ruine gemacht. Und es gibt noch etwas. In Hostomel, nicht weit von Kyjiw, gab es einen Pferdestall mit 32 Pferden. Ende Februar, als die Besatzer gekommen waren, hatten sie der Besitzerin gedroht, dass sie die Pferde erschießen werden, wenn sie nicht wegfahren würde. Die Frau verließ daher den Stall. Der Pferdestall wurde aber nicht beschossen. Er wurde auch nicht von einer Rakete getroffen. Er wurde am 13. März niedergebrannt, zusammen mit den Pferden, die noch im Stall waren.
All das sind leider keine historischen Nacherzählungen vom vergangenen Jahrhundert, von Omas und Opas, von Kriegsveteranen. Ich wünsche mir, es wäre so. Das sind leider neue Bilder im Buch der Menschheitsgeschichte. Sie sind hässlich und unangenehm.