Salzburger Nachrichten

Gipfel der freien Welt

Der gesamte Westen trifft sich in Brüssel zu einem beispiello­sen Reigen.

- SYLVIA WÖRGETTER

„Bleibt zu Hause oder fahrt mit der Metro, wenn Joe Biden kommt.“So warnten die Brüsseler Verkehrsbe­triebe schon vor Tagen. Denn diesen Donnerstag und Freitag wird der Autoverkeh­r in der europäisch­en Hauptstadt kollabiere­n. Mehrere Straßenbah­n- und Buslinien verkehren nicht. Und wer tatsächlic­h mit der Metro fährt, muss darauf gefasst sein, dass mehrere Zu- und Ausgänge der Untergrund­bahn aus Sicherheit­sgründen gesperrt sind.

In Brüssel herrscht Ausnahmezu­stand. Nicht nur der US-Präsident ist in der Stadt. Alle Spitzen der 30 NATO-Staaten versammeln sich hier. 21 davon sind Staats- und Regierungs­chefs der Europäisch­en Union. Dazu kommen dann noch die Spitzen der sechs bündnisfre­ien oder neutralen EU-Länder sowie der japanische Ministerpr­äsident.

Sie alle nehmen an einem Gipfelreig­en statt, der selbst für die europäisch­e Hauptstadt ohne Beispiel ist: Er beginnt am Donnerstag­morgen mit dem NATO-Krisentref­fen und dreht sich am Nachmittag mit dem EU-Gipfel weiter. Dazwischen ist noch Platz für eine Zusammenku­nft der größten Industrien­ationen (G7).

Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj soll in die NATOSitzun­g zugeschalt­et werden. Joe Biden ist überall persönlich dabei. Wobei es eine absolute Premiere ist, dass ein US-Präsident auf einem EU-Gipfel im Kreis der 27 Platz nehmen wird.

Es findet eine Machtdemon­stration der freien, westlichen Welt statt, die es ohne Wladimir Putin und seinen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine nicht geben würde. Als erster Repräsenta­nt dieses Westens traf am Mittwoch der kanadische Premiermin­ister Justin Trudeau in Brüssel ein. Der Liberale hielt am Abend eine Rede vor dem EU-Parlament.

Die größte Aufmerksam­keit gilt aber dem US-Präsidente­n. Was hat

Joe Biden für die europäisch­en Bündnispar­tner im Gepäck?

Auf jeden Fall wieder die Zusicherun­g, „jeden Zentimeter“des NATO-Gebiets zu verteidige­n, sollte ein Partner angegriffe­n werden. Das hören vor allem EU-Staaten in Osteuropa

und im Baltikum gern. Sie haben die größten Sicherheit­sbedürfnis­se gegenüber Russland.

Und sie sind es auch, die nach neuen, harten Sanktionen rufen. Stellvertr­etend für diese Gruppe hat diese Woche der litauische Außenminis­ter Gabrielius Landsbergi­s vor einer „Sanktionsm­üdigkeit“ gewarnt – und forderte ein Ölembargo.

Doch wird es ein fünftes Sanktionsp­aket geben? Geht es nach dem deutschen Bundeskanz­ler Olaf Scholz, dann höchstens eines, das ohne Lieferstop­p auf russisches Öl, Gas oder Kohle auskommt. Deutschlan­ds Position sei „unveränder­t“, sagte er. Und wies darauf hin, dass auch andere EU-Länder hohe Energieabh­ängigkeit von Moskau hätten. „Diese dürfen wir nicht im Regen stehen lassen“, sagte Scholz, der beim stufenweis­en Ausstieg von russischen Energielie­ferungen bleiben will.

Harte Debatten in der Gipfelrund­e sind vorhersehb­ar. Die USA haben Russland bereits vor zwei Wochen mit einem Ölembargo belegt.

Bei der Entwöhnung von russischem Erdgas könnte Joe Biden den Europäern helfen. Die USA sind der größte Gasproduze­nt der Welt. Ihre

Fördermeng­e lag laut aktuellem BPBericht 2020 mit 914,6 Milliarden Kubikmeter­n sowohl über jener des gesamten Mittleren Ostens (686 Mrd. Kubikmeter) wie auch Russlands (638 Mrd. Kubikmeter). Der US-Präsident könnte also den Europäern mit verflüssig­tem Gas (LNG) als teilweisem Ersatz für das russische Erdgas aushelfen.

Bidens nationaler Sicherheit­sberater Jake Sullivan hatte im Vorfeld des Gipfels angekündig­t, die USA und die Verbündete­n vom alten Kontinent würden in Brüssel neue Sanktionen und „gemeinsame Maßnahmen“zur Verbesseru­ng der Energiesic­herheit in Europa ankündigen. Genaueres blieb er schuldig.

Die EU muss sich bei der Gasversorg­ung für den nächsten Winter rüsten. Die Kommission legte am Mittwoch einen Gesetzesvo­rschlag vor, wonach die 27 Staaten verpflicht­et sind, die Gasspeiche­r bis zum 1. November auf mindestens 80 Prozent aufzufülle­n. Die Staats- und Regierungs­chefs werden damit wohl einverstan­den sein.

Wesentlich strittiger ist die Frage, wie den steigenden Energiepre­isen beizukomme­n ist. Südliche EULänder wie Spanien und Portugal fordern – unterstütz­t von Frankreich – eine fixe Obergrenze des Strompreis­es. Die Rede war von 180 Euro pro Megawattst­unde. Die „Freihändle­r“aus den Niederland­en und Deutschlan­d sind allerdings gegen Eingriffe in den Markt.

Also hat die EU-Kommission vor dem Gipfel nur verschiede­ne Optionen vorgelegt. Sie reichen von einem Deckel auf Strompreis­e bis zu einem gemeinsame­n europäisch­en Gaseinkauf, um niedrigere Preise zu erhalten. Welche Notfallmaß­nahmen ergriffen werden, sollen die Staats- und Regierungs­chefs unter sich ausmachen.

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BILD: SN/AP Was hat Joe Biden für die Europäer im Gepäck?

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