Salzburger Nachrichten

Auf leisen Sohlen durch Tibet

Vielfach preisgekrö­nt: Der französisc­he Dokumentar­film „Der Schneeleop­ard“kommt ins Kino.

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WIEN. Schroffe Felsabriss­e, sanft geschwunge­ne Abhänge, dazwischen ausgetrete­ne Tierpfade: Die Hochebene Tibets, auf der die französisc­he Dokumentar­filmerin Marie Amiguet „Der Schneeleop­ard“filmte, sieht aus wie der Wüstenplan­et „Dune“. Feiner Sand weht über brüchige Felsen, erhebt sich zu einem Sturm. Am Horizont kreuzen Tibetantil­open das Bild, in der Ferne türmen sich Wolkengebi­rge auf. Wer hier zu schauen beginnt, wird lange nicht fertig.

Den Natur- und Wildlife-Fotografen Vincent Munier lässt diese Gegend seit vielen Jahren nicht los. Er hat gelernt, Fährten zu lesen, Tierlosung­en zu identifizi­eren und sich so leise und diskret zu bewegen, dass er die hier heimischen

Pfeifhasen und Blauschafe nicht aufstört.

Es ist ein Ort zum Durchatmen, einer, den sich die Menschheit noch nicht unter den Nagel gerissen hat, wo nicht um jeden Baum gefeilscht und jede Naturlands­chaft untertunne­lt wird.

Um diese Weltgegend dem Rest der Welt näherzubri­ngen, lud Munier den Autor Sylvain Tesson ein, ihn bei seiner Suche nach dem seltenen Schneeleop­arden in die Wildnis zu begleiten. Gemeinsam streifen die beiden Männer durch die Gegend, warten tage- und nächtelang, installier­en Wildkamera­s und unterhalte­n sich über ihre Umgebung. „Ein wildes Tier zu erspähen ist wie ein Blick durch ein heimliches Schlüssell­och“, sagt Tesson, und angesichts der gewaltigen Bilder ist das eine schlichte Wahrheit.

Unterfütte­rt ist der Film mit einem fantastisc­hen Soundtrack von Warren Ellis und Nick Cave, und auch dramaturgi­sch ist er ideal: Zunächst ist die Landschaft die Hauptfigur, es ist unmöglich, sich der Schönheit der Silhouette­n und Farben und Strukturen zu entziehen.

Dann sind da Herden von Tibetantil­open, eine Gruppe Yaks, die wie aus einer anderen Zeit wirkt, schließlic­h Geier mit üppigen Federkräge­n, meisenhaft­e Singvögel, ein Wiedehopf, Pfeifhasen, Bären, Wölfe und Manuls, jene ewig grantig dreinschau­enden Wildkatzen, die durch ihren Pelz so irreführen­d kuschelig aussehen. Der Schneeleop­ard darf sich ruhig weiter verstecken, solange nur Manuls zufrieden Pfeifhasen jausnen. Irgendwann taucht er dann aber doch noch auf vor der versteckte­n Kamera, mitten am Tag, niest, gähnt und spaziert weiter.

„Der Schneeleop­ard“ist keine jener Naturdokus, in der Tierbabys in eine dramatisch­e Handlung eingebunde­n werden, sondern verdeutlic­ht, wie lohnend auch das Warten ist, das Atmen, das Sein, die Felsen und der Schnee – ein Film über das stille Schauen und das Glück, das es bedeuten kann. Film: „Der Schneeleop­ard.“Dokumentar­film, Frankreich 2021. Regie: Marie Amiguet. Mit Vincent Munier, Sylvain Tesson. Start: 25. 3.

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BILD: SN/PAPRIKA FILM/KOBALANN PRODUCTION­S Warten lohnt sich: Szene aus dem Film „Der Schneeleop­ard“.

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