Der Traum vom Unabhängigsein
Autark ist das neue Stark. Wäre nicht alles leichter, würden wir Selbstversorger?
Das Thema hängt schon lange in der Luft, doch die Mehrfach-Krise hat ihm einen Schub gegeben: Immer mehr Menschen wollen im Alltag unabhängiger werden. Im Privaten ist das an einer neuen Art des Biedermeiers zu erkennen, die längst vor der Pandemie zu beobachten war: Das eigene Heim wird zum perfekten Rückzugsort ausgebaut, inklusive Gemüseproduktion im Garten, Photovoltaik am Dach, Heimkino, Fitnessstudio samt Swimmingpool und eines gut gefüllten Vorratskellers. Sogar im Großen, in der Politik, spürt man eine neue „Prepper“-Mentalität (abgeleitet vom englischen „prepare“, vorbereiten), und das nicht erst seit dem Ukraine-Krieg: Schon im Herbst 2020 hat die EU-Kommission einen Aktionsplan für kritische Rohstoffe verabschiedet. Europa ist in Zukunftsbereichen wie der E-Mobilität, Batterien, erneuerbaren Energien, Medikamenten, digitalen Geräten, Luftfahrt und Verteidigung in ungesunder Weise von Importen abhängig.
Es geht also nicht bloß um Unabhängigkeit von russischer Energie. Nach Jahrzehnten der „Alles ist möglich“-Stimmung, in der kein Weg zu weit war, um Güter billig aus allen Erdteilen zu beschaffen, ist die eigene politische Erpressbarkeit ins Rampenlicht gerückt. In der gesamten Digitalisierung ist Europa auf Importe angewiesen, etwa bei Metallen wie Nickel für Batterien (bisher vor allem aus Russland) oder dem Gas Neon für die Chipproduktion (Ukraine). Ohne elektronische Geräte aus Asien, insbesondere China, kann in keiner Branche gearbeitet werden.
Wollte Europa und mit ihm das kleine Österreich also autark sein – im Sinn von selbstgenügsam, ohne Importe –, müssten seine Bürgerinnen und Bürger also künftig extrem bescheiden leben. Ein Programm, das kaum gefallen wird.
Somit geht es nicht um Autarkie, sondern Autonomie: künftig unter mehreren Optionen entscheiden zu können. Dazu ist von allen, Unternehmen wie Politik, Fantasie gefragt: Diversifizierung bedeutet nicht unbedingt, sich bei arabischen Despoten anzubiedern und dort um künftige Belieferung zu bitten. Neue Rohstoff- und Ersatzteilquellen aufzutun kann auch umfassen, Handelspartner in Afrika und Südamerika aufzubauen. Oder Produkte so zu designen, dass sie kritische Rohstoffe nicht mehr brauchen. Und letztlich nicht mehr alles wegzuwerfen, sondern Sekundärmärkte für Produkte und Teile aufzubauen. Das sind die Rohstoffminen der neuen Art.