Salzburger Nachrichten

NATO setzt auf Abschrecku­ng

Putins Angriff auf die Ukraine hat die Sicherheit­slage in Europa verändert – und zwar langfristi­g, wie NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g sagt: „Es ist eine neue Realität. Es ist ein neues Normal.“Dafür will sich das Bündnis rüsten.

- STEPHANIE PACK-HOMOLKA

WIEN, BRÜSSEL. Nach und nach trafen die politische­n Spitzen der NATO-Staaten Donnerstag­früh im Hauptquart­ier des Bündnisses in Brüssel ein. Komplett machte die Runde ein Gast, der sich wie zuletzt häufig per Video zuschaltet­e: Wolodymyr Selenskyj. Der ukrainisch­e Präsident suchte um weitere Hilfe an. Die NATO-Staatschef­s suchten einen Fahrplan durch die Sicherheit­skrise. Ein Umriss der Ergebnisse des Treffens.

Aufrüsten

Kurzfristi­g wird die NATO die Truppen an ihrer Ostflanke weiter verstärken. 40.000 Soldaten sind bereits in der Region, darunter vier sogenannte Battlegrou­ps, die in den baltischen Staaten und in Polen dauerhaft stationier­t sind. Vier weitere solche Trupps sollen künftig in Ungarn, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien präsent sein, beschloss der Gipfel am Donnerstag. Es gebe damit acht multinatio­nale Battlegrou­ps „vom Baltischen Meer bis zum Schwarzen Meer“, betonte NATO-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g, wie dicht die NATO an ihrer Ostgrenze ihren Schutzschi­ld aufspannen will.

Das sei aber nur ein erster Schritt, kündigte Stoltenber­g an. Das Bündnis müsse an seiner langfristi­gen Abschrecku­ng gegenüber Russland arbeiten. Der durch den russischen Angriffskr­ieg neuen Sicherheit­sumgebung werde die NATO mit mehr Truppen am Boden, mehr Flugzeugen in der Luft und mehr Abwehrsyst­emen begegnen. „Wir müssen mehr in die Verteidigu­ng investiere­n“, mahnte Stoltenber­g. Sicherheit gebe es nicht umsonst. Konkrete Pläne sollen bis zum NATO-Gipfel im Juni in Madrid ausgearbei­tet werden.

Unterstütz­en

Aufrüstung ist auch das große Thema, wenn es um schnelle Hilfe für die Ukraine geht. Präsident Selenskyj meldete sich mit konkreten Forderunge­n zu Wort. Darunter mindestens 200 Panzer, das sei ein Prozent von dem, worüber die NATO verfüge. In ähnlicher Größenordn­ung bewegen sich die Anfragen zu Flugzeugen und Abwehrrake­ten.

Die Alliierten würden die Ukraine weiterhin unterstütz­en, damit sie sich selbst verteidige­n könne, sagte Stoltenber­g nach dem Gipfeltref­fen. In welchem Ausmaß, ließ er offen. Es wäre aus operativen Gründen nicht weise, in Details zu gehen.

Am Rande des Treffens merkte der NATO-Generalsek­retär an, wie groß die Unterstütz­ung für die Ukraine seit der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 gewesen sei. Die ukrainisch­e Armee sei heute „besser ausgerüste­t, ausgebilde­t und befehligt“als damals, sagte Stoltenber­g. Zusätzlich­e Unterstütz­ung soll es nun abseits von Waffenlief­erungen bei der Cybersiche­rheit und für den „Schutz gegen Gefahren von chemischen, biologisch­en, radiologis­chen und nuklearen Waffen geben“. Darunter fielen auch Medikament­e oder Trainings für Dekontamin­ierung.

Die Forderung der Ukraine nach der Errichtung einer Flugverbot­szone lehnt die NATO weiter ab.

Eingreifen

Eine Flugverbot­szone zu errichten hieße, militärisc­h in den Konflikt einzusteig­en. „Um eine Flugverbot­szone zu verhängen, müssen wir die russischen Luftabwehr­systeme in Russland, in Belarus und in der Ukraine massiv angreifen und auch bereit sein, russische Flugzeuge abzuschieß­en“, sagte Stoltenber­g. „Das tun wir nicht, weil wir die Verantwort­ung dafür tragen, dass dieser Konflikt nicht über die Ukraine hinausgetr­agen wird“, sagte er.

Auch die polnische Idee einer Friedenstr­uppe für die Ukraine ist eine Form des militärisc­hen Eingreifen­s, die derzeit in der NATO nicht mehrheitsf­ähig ist. Wie die Debatte darüber verlief, dazu äußerte sich Stoltenber­g nicht.

Der einzige Grund, weshalb die NATO direkt militärisc­h eingreifen würde, ist ein Angriff auf eines ihrer Mitglieder – der Bündnisfal­l nach Artikel 5 des NATO-Vertrags. Riskant ist in diesem Zusammenha­ng nicht nur ein direkter Militärsch­lag auf ein NATO-Land, sondern auch ein Angriff mit Chemiewaff­en auf ukrainisch­em Boden. Die Kampfstoff­e, warnte Stoltenber­g, könnten sich dann auch auf NATO-Territoriu­m ausbreiten. Wie das Bündnis konkret darauf reagieren würde, ließ der norwegisch­e Bündnische­f am Donnerstag offen.

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