Wie soll man mit Verschwörungstheorien umgehen?
Experte Michael Butter erläutert im Gespräch mit den SN, wie verbreitet solche Theorien sind, wer dafür anfällig ist, welche davon gefährlich sind und was man mit Verschwörungstheoretikern (noch) diskutieren sollte – und was nicht.
SALZBURG. „Die CIA gab den Kennedy-Mord in Auftrag.“Oder: „Kondensstreifen sind Chemtrails, die uns alle umbringen.“Und: „Die Coronaimpfungen haben viel mehr Schäden verursacht, als die Politik zugibt.“Verschwörungstheorien wie diese feiern nicht erst seit Pandemiebeginn fröhliche Urständ. Michael Butter ist Experte für das Thema: Der Amerikanistik-Professor an der Uni Tübingen hat schon 2008 bis 2012 seine Habilitation dazu verfasst und leitet aktuell ein EUForschungsprojekt dazu, das auch Österreich umfasst.
Was eine Verschwörungstheorie sei, lasse sich anhand von drei Punkten definieren: „Erstens behauptet sie, dass nichts auf der Welt durch Zufall geschieht, sondern alles geplant wurde – von einer Gruppe von Verschwörern, nach deren Willen sich das Phänomen entfaltet“, sagt Butter. Zweitens würden alle diese Theorien behaupten, dass nichts so sei, wie es scheine, „und dass man immer hinter die Kulissen blicken muss, weil die wahrhaftigen Dinge hinter einem Vorhang passieren“, erläutert Butter. Drittens würden Verschwörungstheorien immer davon ausgehen, „dass es Verbindungen von Personen, Institutionen und Ereignissen gibt, die man nie vermuten würde.“
Warum gibt es rund um die Pandemie besonders viele dieser kruden Theorien? Obwohl viele Staaten bei Inzidenz-, Infizierten- und Todeszahlen oder der Zahl der Impfschäden so transparent sind wie nie zuvor? Butter erklärt das damit, dass die Pandemie jeden betreffe und sich mit vorhandenen Verschwörungstheorien gut kombinieren lasse: „Daher gehen da auch Linke mit Rechten auf die Straße – und Esoteriker mit Reichsbürgern.“Zudem bringe die Pandemie große Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte: „Bei jenen, die schon davor ein Misstrauen gegen den Staat hatten, wurde das Gefühl verstärkt, weil sie den großen Plan vermuteten, dass der Staat immer schon die Bürger entrechten wollte.“
Zudem helfe Transparenz nicht, um gegen Verschwörungstheoretiker anzukommen, sagt Butter: „Diese Leute sind ja nicht schlecht informiert; aber ihre Theorien sind Erzählungen, die ihre Identität und ihr Weltbild bestätigen. Um das umzukehren, reicht ein Faktencheck nicht.“Den Eindruck, dass im 21. Jahrhundert Verschwörungstheorien stark boomen würden, weist Butter zurück. Ausgangspunkt seiner Forschung war die Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert in den USA. Sein Fazit: „Es gab schon damals viele Verschwörungstheorien – gegen Katholiken, Illuminaten, aber auch Sklavenhalter etc. Jeder US-Präsident von Washington bis Eisenhower glaubte daran.“Erst mit den 1950er/60er-Jahren habe ein Stigmatisierungsprozess der Theorien eingesetzt, sodass sie an die Ränder der Gesellschaft gewandert seien – da Sozialwissenschaften in breitere Schichten durchgesickert seien. Die aktuellen Zahlen? „In Deutschland hat ein Viertel der Bevölkerung Tendenzen, Verschwörungstheorien zu glauben; zehn bis zwölf Prozent glauben fest daran. In Österreich dürfte es ähnlich sein.“
Laut Butter seien tendenziell Männer anfälliger für solche Theorien als Frauen: „Weil das Bedürfnis nach Einzigartigkeit – man hat etwas verstanden, was andere nicht verstanden haben – für männliche Identitäten wichtiger ist als für weibliche.“Dazu komme, dass solche Theorien oft Antworten auf soziale Transformationsprozesse seien, die die Stellung von Männern erschütterten – von der Emanzipation bis zur Globalisierung. Klar sei aber, dass die Neigung zu solchen Denkmodellen geringer sei, je höher die formale Bildung sei, sagt Butter. Zudem seien Ältere eher dafür anfällig als Jüngere, meint er.
Dass krude Weltbilder durch das Internet viel leichter überprüf- und falsifizierbar seien, helfe leider wenig, sagt der Buchautor – und meint pointiert: „Denn wir alle suchen uns gern die Fakten, die in unser Weltbild passen – oder finden die Fakten überzeugender, die uns bestätigen, was wir ohnehin schon glauben.“
Wirklich gefährlich seien Verschwörungstheorien in drei Fällen, sagt Butter: Wenn sie ein Katalysator für Radikalisierung sein und zu Gewalt führen könnten. Weiters könnten sie in medizinischen Fragen das Risiko bergen, etwa durch die Leugnung eines Virus andere zu gefährden. „Und sie können eine Gefahr für die Demokratie sein, weil sie das Vertrauen in demokratische Einrichtungen beschädigen – Stichwort: Sturm auf das US-Kapitol durch Trump-Fans im Jänner 2021.“
Wenn jemand in Verschwörungstheorien gefangen sei, sei es schwer, an ihn oder sie heranzukommen: „Und wenn man etwas als Verschwörungstheorie brandmarkt, glauben die Betroffenen nur noch mehr daran. Daher sollte man eher Fragen stellen: Warum siehst du das so? Warum ist der für dich ein glaubwürdiger Experte und der andere nicht? Wie passt das, was du jetzt erzählst, zu dem, was du letzte Woche erzählt hast?“Ziel müsse sein, dass Betroffene selbst zum Nachdenken kämen, sagt Butter. Er rät davon ab, Verschwörungsfans überzeugen zu wollen: „Wenn man zu der Person kein ganz enges Verhältnis hat, bringt das gar nichts.“Stattdessen sollten sich besorgte Angehörige lieber an Beratungsstelle wenden, empfiehlt Butter.
Vortrag: Unter dem Titel „Verschwörung! Wo gibt’s das wirklich?“spricht Michael Butter auf Einladung der Robert-Jungk-Bibliothek am Montag, 28. März, um 19.30 Uhr via Zoom. Anmeldung: WWW.JUNGK-BIBLIOTHEK.ORG