Rendis Weg zur Kanzlerkandidatur
„Ein Land. Eine gemeinsame Zukunft“. Das ist der Titel der Rede, mit der Pamela Rendi-Wagner ihren Führungsanspruch für die nächsten Wahlen anmeldet. Der Zeitpunkt ist günstig, doch ihrer Politik fehlen die Konturen.
WIEN. Das Timing ist nicht übel: Die Legislaturperiode ist zur Hälfte vorbei, was eine Bilanzlegung nahelegt. Die Regierung taumelt durch die Coronakrise, was ihre Umfragewerte sinken lässt. Die dominierende ÖVP steckt bis zum Hals in Ermittlungen des Untersuchungsausschusses und der Korruptionsstaatsanwaltschaft. Und die Umfragewerte der SPÖ gingen zuletzt nach oben.
Auch die Örtlichkeit ist mit Bedacht gewählt. Und zwar handelt es sich um die Aula der Wissenschaften in der Wiener Innenstadt – ein politisch neutraler, überaus ehrwürdiger Raum, der sich deutlich von den üblichen Messe- und Veranstaltungshallen unterscheidet, in denen Parteiveranstaltungen meist über die Bretter gehen.
Und auch der sonstige Rahmen deutet große Ambitionen an. Sämtliche noch unter den Lebenden weilenden roten Altkanzler, von Franz Vranitzky über Viktor Klima, Alfred Gusenbauer, Werner Faymann bis Christian Kern, werden lauschend auf den Ehrenplätzen sitzen, wenn SPÖ-Vorsitzende Pamela RendiWagner am Sonntag ihre große Rede hält. In der sie, wie aus ihrer Umgebung verlautet, ihren „Anspruch auf die Kanzlerschaft“untermauern will.
Bedenkt man, dass die nächsten Nationalratswahlen termingemäß erst in zweieinhalb Jahren stattfinden, ist es ein wenig früh, dieses Thema an die Wählerschaft zu bringen. Doch Rendi-Wagners Ansage richtet sich wohl nicht so sehr an die Wähler, sondern in erster Linie an ihre Parteifreunde. Vor allem an jene, die ihr die Kanzlerschaft streitig machen wollen. Respektive die Meinung vertreten, es sei zu früh, sich festzulegen, ob die Parteivorsitzende automatisch auch Kanzlerkandidatin sein solle. RendiWagner will diese Frage am Sonntag mit einem kräftigen Ja vorentscheiden.
Einer, dem diese Botschaft wohl in besonderem Maße gilt, wird sie nicht hören. Der burgenländische Parteichef Hans Peter Doskozil, der zu den verlässlichsten Rendi-Kritikern zählt, wird bei der „Kanzlerinnenrede“seiner Vorsitzenden nicht anwesend sein. Er weilt in Deutschland, um dort den Geburtstag seiner Lebensgefährtin zu zelebrieren.
Der schwelende Streit zwischen Doskozil und der Parteispitze unter
Rendi-Wagner ist für die SPÖ nicht zuletzt deshalb unerquicklich, weil er den Blick auf einen wesentlichen Punkt verstellt: Doskozils Landesgruppe, die SPÖ Burgenland, zeigt vor, mit welchen Mitteln eine sozialdemokratische Partei in Zeiten wie diesen erfolgreich sein kann. Zuletzt verkündete die SPÖ Burgenland, dass sie das von Betriebsräten, NGOs, Sozialwissenschaftern und Künstlern organisierte Volksbegehren „Arbeitslosengeld rauf“unterstützen werde. Was nahtlos in die Ideologie dieser Landespartei passt, die aus einer eher robusten (Kritiker sagen: rechten) Migrationspolitik und einer linken Sozialpolitik besteht. Was den burgenländischen Roten bei der letzten Landtagswahl im Jänner 2020 rekordverdächtige Zuwächse und eine absolute Landtagsmehrheit bescherte. Trotz des damals noch grassierenden Sebastian-Kurz-Begeisterungsfiebers.
Dagegen mutet der Kurs der Bundespolitik unter Rendi-Wagner mitunter ein wenig konturlos und die Parteichefin ein wenig öffentlichkeitsscheu an. Zuletzt blamierte sich die SPÖ in der Debatte um die Frage, ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Nationalrat eine Rede halten dürfe. Die zögerliche Haltung der SPÖ lief im Endeffekt auf ein Nein hinaus – und bescherte der Bundespartei wieder einmal Schelte aus dem Munde Doskozils. Rendi persönlich hatte sich in dieser Debatte vornehm zurückgehalten. Und dies, obwohl sie außenpolitische Sprecherin ihrer Partei und Vorsitzende des Außenpolitischen Ausschusses des Nationalrats ist.
Als Kanzlerkandidatin, als die sie sich am Sonntag ausrufen will, werden Pamela Rendi-Wagner Antworten auf unangenehme Fragen nicht erspart bleiben.