Salzburger Nachrichten

„Ich hätte einfach noch gern eine Chance“

Gerhard lebte jahrelang in Salzburg auf der Straße. Eine problemati­sche Kindheit und ein Unfall mit 24 haben sein bisheriges Leben geprägt.

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SALZBURG. War’s der Unfall, der ihm das alles eingebrock­t hat – die Alkohol- und Drogensuch­t, die Obdachund die Hoffnungsl­osigkeit? Damals, mit Mitte 20, als Gerhard aus neun Metern Höhe von einem Baugerüst gefallen war und sich die Beine gebrochen hatte, lang im Spital lag, von da an 60 Prozent arbeitsunf­ähig war? War der Unfall schuld, dass sein Leben danach so verlaufen ist, wie es verlaufen ist?

„Das allein war’s vermutlich nicht“, sagt Gerhard. Er hat noch ein paar Tränen im Augenwinke­l, war sich noch eben nicht mehr so sicher, ob er uns seine Geschichte wirklich erzählen, „über den ganzen Scheiß nachdenken“wolle, sagt der heute 46-Jährige. Jetzt sitzen wir da, in der Mittagsson­ne, Gerhard hat sich ein Bier bestellt, er erzählt von seiner problemati­schen Kindheit, die geprägt von den Schlägen seiner Mutter war, und von seiner hoffnungsv­ollen Fußballerk­arriere. „Ich hatte schon meinen gut dotierten Vertrag bei einem deutschen Drittligac­lub in der Tasche, als der Unfall passiert ist. Mein Geld habe ich ja nicht auf der Baustelle verdient, sondern beim Kicken. Nach dem Unfall war Fußball kein Thema mehr.“

Gerhard kommt aus Bayern, er habe verdammt viel fußballeri­sches Talent mitgebrach­t, „ich war auch schnell. Mein Trainer, der wusste, wie viel ich damals gesoffen und geraucht habe, war immer ganz verwundert, woher ich die Kraft und die Kondition genommen hab. Ich weiß es nicht, es ist sich einfach immer alles ausgegange­n“, sagt Gerhard und schmunzelt. Das Saufen habe er von seinem geliebten Vater gelernt, „der war genauso wie ich, hat immer seine Arbeit gemacht – gut gemacht –, aber immer gesoffen. Ich hab den nie nüchtern erlebt.“Sein Vater habe ihn als Buben am Wochenende mit zum Fußball genommen, „da gab’s Pommes“. Daheim habe es nur Schläge, keine Liebe von der Mutter gegeben. „Und mit zwölf hab ich dann eben begonnen, mich zu wehren. Dann hat sie mich in ein Heim für Schwererzi­ehbare gesteckt, ich war der Jüngste, die anderen waren 16 und älter, lauter Kleinkrimi­nelle. Ich hatte niemanden, mit dem ich reden konnte.“

Seine Eltern trennten sich. „Im Heim hab ich es nicht ausgehalte­n, ich war Bettnässer – mit 12! Mit 13 durfte ich dann zu meinem Vater ziehen, ich hätte mich sonst umgebracht.“

Gerhard lernt Ofensetzer, wie sein Vater. Verdient viel Geld als Fußballer, fährt mit Freunden Motocross, beginnt „mit 16, 17 Jahren“auch Drogen auszuprobi­eren. Dann der Unfall, acht Monate Krankenhau­s, „ich war abhängig von Heroin und Schmerzmit­teln“. Als er sich selbst entlässt, nur mehr mit Krücken gehen kann, erscheint ihm alles trostlos. „Im Jahr 2000 bin ich in ein Angelcamp am Río Ebro in Spanien gefahren, dort war ich, seit ich 15 Jahre alt bin, jedes Jahr auf Urlaub.“Der Besitzer fragt ihn, ob er bei ihm als Angelguide anfangen will. „Das war die schönste Zeit meines Lebens.“Nach der Finanzkris­e geht aber alles den Bach runter, Gerhard hält sich noch eine Weile als selbststän­diger Angelguide über Wasser, entscheide­t sich aber 2012, seine Zelte abzubreche­n. Und lässt seinen Sohn, heute 24, dort zurück. „2014 habe ich ihn das letzte Mal gesehen, da war er mal da bei mir. Aber ich möchte nicht, dass er mich so sieht, wie ich jetzt bin. Und wie ich jetzt lebe.“

Dieses Jetzt findet in Salzburg und nicht in seiner Heimat Deutschlan­d statt. „Ich hatte in Spanien viele österreich­ische Kunden und wollte hier einen Neuanfang machen, bei null anfangen.“

Er arbeitet zunächst als Fliesenleg­er und Maurer, campiert mangels leistbarer Wohnung an einem See im benachbart­en Oberösterr­eich. Wegen seiner Schmerzen beginnt er wieder mit den Drogen, „ich kann im Stehen einfach nicht mehr arbeiten“. Gerhard verliert seinen Job, landet auf der Straße, kämpft ums Überleben, bettelt, schläft im Schlafsack in einer Unterführu­ng im Flachgau. Sechs Jahre lang ist er obdachlos. Seit einem Jahr hat er ein Zimmer in einer Pension, vermittelt von einem „Engel“im Krankenhau­s, den er während einer Behandlung kennengele­rnt hat. Ein Stück Hoffnung.

„Ich möchte unbedingt wieder arbeiten“, sagt Gerhard, die Stimme bricht, eine Träne rollt ihm über die Wange. „Ich hätt’ gern eine Chance, wieder Fuß zu fassen in einem halbwegs normalen Leben. Kann es das bitte, nach allem, was ich erlebt habe, für mich geben?“

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