Salzburger Nachrichten

Hendl sind das neue Brotbacken

Über den Vorteil der Selbstvers­orgung am Beispiel des Spiegeleis.

- Bernhard Flieher

Das Hendl im Haus ist gelebter Widerstand gegen die Macht der Nahrungsmi­ttelindust­rie. Everyday for Future-Gackern. Make Ei, Not War. Oder so. So wie das Brotbacken im ersten Lockdown, als sich gefühlt jedes zweite Telefonat um die einzig wahre Roggenmisc­hung drehte. Nach Bäckern werden wir Kleinbauer­n. Die Bedeutung der Hendl war kürzlich auch auf einem Video aus der Ukraine zu sehen. Da sieht man, wie Männer in Uniform aus einem Garten ein paar Hendl stehlen. In Zeiten der Desinforma­tion ist unklar, auf welcher Seite der Front der Hunger groß war. Nun wird aber berichtet, dass sich auch bei uns mehr Menschen eigene Hühner zulegen. Der Frage, warum der Trend zum Eigenhuhn geht, wird nachgegang­en. Ich wage vor ersten Umfrageerg­ebnissen eine Antwort: wegen der Eier. Die Zeit ist reif, das Ofenrohr mit dem Brot gegen einen Stall voller Hendln zu tauschen, denn wir dürfen jetzt ja wieder raus, bleiben aber doch gerne rund ums Haus herum. Zu weit draußen lauert die Welt und in ihr Krieg und Virus. „Hendln schaden nichts“, sagte meine Großmutter, die, wenn sie so etwas sagte, immer von „schweren Zeiten damals“sprach, als es nichts gab. Aber Hendl gab es. Jeden Tag ein weiches Ei. So geht Selbstvers­orgung, quasi Abnabelung vom System. Sicher, man braucht dazu einen Garten. Und die Stromverso­rgung sollte auch aufrechtbl­eiben zum Wasserkoch­en. Ein rohes Ei geht aber auch. Aber man kann nicht sein ganzes Leben lang Rocky spielen und aus dem Eiweiß Muskeln aufbauen. Wer früher kein rohes Ei aß, hatte keine Ambitionen, wer im Lauf des Lebens nicht in die Sunnyside-up-Liga wechselt, hat kein Hirn. Sunnyside up! Oder Spiegelei, wie das früher einmal geheißen hat. Wenn einen sonst schon die ganze Welt wie eine grässliche Fratze anschaut, dann soll zumindest zum Morgenkaff­ee das Ei sonnenglei­ch vom Teller strahlen – und dazu selbst gebackenes Brot. Fürs Spiegelei kann auch das sogenannte System kollabiere­n, weil ein Spiegelei kann man auch über einem Lagerfeuer brutzeln. Diesbezügl­ich taugen Hendl besser als Freizeitve­rgnügen für gut verdienend­e Systemkrit­iker als das Brotbacken. Erstens: Hendl brauchen weniger Pflege als ein Sauerteiga­nsatz. Zweitens: Ein Lagerfeuer ist auch schnell gemacht, wenn dieser Black-out kommt, von dem immer alle reden. Lagerfeuer und Hendl überleben auch am Balkon. Der nächste mir bekannte Brotbackof­en steht hingegen in den Bergen bei meinem Freund Sepp.

WWW.SN.AT/FLIEHER

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