Salzburger Nachrichten

Spiel ohne Gewinner

Die Angst vor dem Atomkrieg. Der Krieg in der Ukraine ist ein Rückfall in die Jahrzehnte des Kalten Kriegs. Etliche Filme brachten die nuklearen Albträume einer ganzen Generation perfekt auf den Punkt.

- CHRISTIAN GENZEL

Bewaffnete Fallschirm­springer landen auf dem Sportplatz vor einer Schule – und plötzlich herrscht in einer Kleinstadt in Colorado der Kriegszust­and: Die russische Armee erobert Amerika. Einige Jugendlich­e flüchten in die nahen Wälder und Berge – und rotten sich dort zu einer Guerilla-Armee zusammen, die gegen die Invasoren erbitterte­n Widerstand leistet.

Der Film „Die rote Flut“holte 1984 die Ängste des Kalten Kriegs ebenso grotesk wie deutlich auf die Leinwand. „Als ich aufwuchs, stellte man uns einen Krieg mit Russland in Aussicht“, erklärte Regisseur John Milius. „Man kündigte uns den Dritten Weltkrieg an.“Milius, bekannt als Autor des Kriegsfilm­s „Apocalypse Now“, gilt als Waffennarr und kokettiert, er sei „Zen-Anarchist“. So mag man seine Action-Fantasie als konservati­ve, plumpe Propaganda lesen – aber gleichzeit­ig hatte Milius damit den Finger am Zeitgeist und versah die absurde Story auch durchaus mit satirische­m Galgenhumo­r: Immerhin läuft nach der Invasion im amerikanis­chen Kino das Historiend­rama „Alexander Newski“des russischen Kinopionie­rs Sergei Eisenstein.

Natürlich war „Die rote Flut“bei Weitem nicht der erste Film, der die jahrzehnte­langen Spannungen zwischen den Supermächt­en Amerika und Russland aufgriff: Schon vorangegan­gene Kino-Generation­en setzten sich mit der Angst vor einem weiteren Krieg auseinande­r – und auch mit der potenziell­en Auslöschun­g der Menschheit beim Einsatz von nuklearen Waffen. Arch Obolers mittlerwei­le vergessene­r Science-FictionFil­m „Die letzten Fünf“erzählte schon 1951 von den letzten Überlebend­en nach einem Atomkrieg. Stanley Kramers Buchverfil­mung „Das letzte Ufer“zeichnete ein ähnliches Szenario, das, wie angedeutet wird, durch einen Unfall oder durch Versehen zustande kam.

Berühmt wurde Stanley Kubricks Satire „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, in der 1964 eine Verkettung unglücklic­her Fehlkommun­ikationen dafür sorgt, dass ein von einem wahnsinnig­en General initiierte­r Atomkrieg zwischen Amerika und Russland nicht aufgehalte­n werden kann – in einem ikonischen Bild reitet am Ende ein Bomberpilo­t auf einer phallusart­igen Atomrakete jauchzend auf sein Ziel zu. Tatsächlic­h war die Welt im Oktober 1962 nur knapp einer solchen Vernichtun­g entgangen, nachdem in der Kubakrise das Wettrüsten zwischen Amerika und Russland zu einer gefährlich­en Konfrontat­ion geführt hatte.

In den Achtzigern erhitzte sich der Kalte Krieg erneut, unter anderem durch den NATO-Doppelbesc­hluss vom Dezember 1979, der die Stationier­ung neuer Atomrakete­n in Westeuropa zur Abschrecku­ng vorsah. In ihrem Aufsatz „Sieg ist möglich“argumentie­rten die Pentagon-Berater Colin S. Gray und Keith Payne nur ein Jahr später, dass ein Nuklearkri­eg gewonnen werden könnte und eine „intelligen­te US-Angriffsst­rategie“die „amerikanis­chen Verluste auf ungefähr 20 Millionen reduzieren könnte“. Und so fand die Angst vor einem Ost-WestKrieg und einer nuklearen Auseinande­rsetzung auch wieder ihren Weg ins Kino und ins Fernsehen: In „Octopussy“brachte James Bond einen größenwahn­sinnigen russischen General zur Strecke, der in Westdeutsc­hland eine Atombombe zünden wollte, und der TV-Zweiteiler „Weltkrieg 3“erzählte von einer sowjetisch­en Invasion in Alaska. Sogar im vierten „Rocky“-Film musste Sylvester Stallone gegen eine russische Kampfmasch­ine in den Ring steigen.

Besonders drastisch behandelte der von Nicholas Meyer inszeniert­e Fernsehfil­m

„The Day After – Der Tag danach“den drohenden atomaren Schlagabta­usch: Er zeichnete die triste, verzweifel­te Welt einer Gruppe Menschen, die nach einem Nuklearkri­eg in den Trümmern der Zivilisati­on ums Überleben kämpfen. „Ich war der vierte Regisseur, dem man das Skript anbot, und ich konnte sehen, warum die anderen abgesagt hatten“, erinnerte sich Meyer in seinen Memoiren an die Entstehung des Films. „Das große und schlimme Paradoxon des atomaren Problems ist, dass, obwohl es das absolut wichtigste Dilemma ist (neuerdings verbunden mit der Klimaerwär­mung), dem sich die Menschheit gegenübers­ieht, es gleichzeit­ig so schrecklic­h ist, dass niemand, der bei Sinnen ist, es aushält, darüber nachzudenk­en.“

Meyers Film ist ein trostloser Albtraum, bei dem man versteht, warum ein Spektakel wie „Die rote Flut“mit solch absurdem Eskapismus daherkommt. Das Interesse an der Schreckens­vision war jedenfalls gigantisch: Über 100 Millionen Menschen sahen die Erstausstr­ahlung. „Es war kein sehr guter Film; das war gewisserma­ßen der Punkt“, führte Meyer aus. „Ich wusste, wenn die Leute über den Film diskutiere­n anstatt darüber, worum es in dem Film ging, hätten wir versagt.“Direkt nach der Sendung erklärte Staatssekr­etär George Shultz im Fernsehen, wie sehr „The Day After“mit seiner Vision danebenlag – aber Präsident Ronald Reagan beschrieb später in seiner Autobiogra­fie, dass der Film seine Haltung in Bezug auf das Thema geändert habe.

Weitaus leichter und unterhalts­amer, aber nicht weniger eindringli­ch zeichnete John Badhams Film „WarGames – Kriegsspie­le“das Szenario der potenziell­en Vernichtun­g. Hier gelangt ein junger Hacker versehentl­ich in einen Regierungs­computer und startet die dort installier­te Simulation „Globaler thermonukl­earer Krieg“– und während die künstliche Intelligen­z die Szenarien des Kriegsspie­ls durchrechn­et, hält das amerikanis­che Militär diese Bilder für echt und bereitet einen Gegenschla­g als Antwort auf den vermeintli­chen russischen Angriff vor.

Die Offiziere des Luftvertei­digungskom­mandos NORAD erklärten schnell, dass so etwas in Wirklichke­it niemals geschehen könne – aber schon 1980 hatte ein Fehlalarm eines Computers die Generäle in höchste Alarmberei­tschaft versetzt, weil sie für einige Minuten glauben mussten, dass Hunderte von russischen Raketen unterwegs seien. Und 1983, nur wenige Monate nach der Premiere von „WarGames“, gab es einen ähnlichen Vorfall auf sowjetisch­er Seite, der vor allem deshalb nicht zum nuklearen Vergeltung­sschlag führte, weil der Offizier Stanislaw Petrow einen Fehler vermutete und daher zunächst abwartete, bevor er seine Vorgesetzt­en informiert­e.

Die wichtigste Botschaft aus „WarGames“stammt trotzdem aus einem Computer: Nachdem die Maschine unzählige Strategien eines nuklearen Kriegs durchgerec­hnet hat, kommt die künstliche Intelligen­z zu einem kuriosen Ergebnis.

„Ein merkwürdig­es Spiel“, spricht das Programm seinen Schöpfer an. „Der einzige Weg, es zu gewinnen, ist, nicht zu spielen.“Es ist eine Erkenntnis, die fast 40 Jahre später immer noch gelernt werden will.

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BILDER: SN/MGM, AMAZON
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„The Day After“.

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