Spiel ohne Gewinner
Die Angst vor dem Atomkrieg. Der Krieg in der Ukraine ist ein Rückfall in die Jahrzehnte des Kalten Kriegs. Etliche Filme brachten die nuklearen Albträume einer ganzen Generation perfekt auf den Punkt.
Bewaffnete Fallschirmspringer landen auf dem Sportplatz vor einer Schule – und plötzlich herrscht in einer Kleinstadt in Colorado der Kriegszustand: Die russische Armee erobert Amerika. Einige Jugendliche flüchten in die nahen Wälder und Berge – und rotten sich dort zu einer Guerilla-Armee zusammen, die gegen die Invasoren erbitterten Widerstand leistet.
Der Film „Die rote Flut“holte 1984 die Ängste des Kalten Kriegs ebenso grotesk wie deutlich auf die Leinwand. „Als ich aufwuchs, stellte man uns einen Krieg mit Russland in Aussicht“, erklärte Regisseur John Milius. „Man kündigte uns den Dritten Weltkrieg an.“Milius, bekannt als Autor des Kriegsfilms „Apocalypse Now“, gilt als Waffennarr und kokettiert, er sei „Zen-Anarchist“. So mag man seine Action-Fantasie als konservative, plumpe Propaganda lesen – aber gleichzeitig hatte Milius damit den Finger am Zeitgeist und versah die absurde Story auch durchaus mit satirischem Galgenhumor: Immerhin läuft nach der Invasion im amerikanischen Kino das Historiendrama „Alexander Newski“des russischen Kinopioniers Sergei Eisenstein.
Natürlich war „Die rote Flut“bei Weitem nicht der erste Film, der die jahrzehntelangen Spannungen zwischen den Supermächten Amerika und Russland aufgriff: Schon vorangegangene Kino-Generationen setzten sich mit der Angst vor einem weiteren Krieg auseinander – und auch mit der potenziellen Auslöschung der Menschheit beim Einsatz von nuklearen Waffen. Arch Obolers mittlerweile vergessener Science-FictionFilm „Die letzten Fünf“erzählte schon 1951 von den letzten Überlebenden nach einem Atomkrieg. Stanley Kramers Buchverfilmung „Das letzte Ufer“zeichnete ein ähnliches Szenario, das, wie angedeutet wird, durch einen Unfall oder durch Versehen zustande kam.
Berühmt wurde Stanley Kubricks Satire „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, in der 1964 eine Verkettung unglücklicher Fehlkommunikationen dafür sorgt, dass ein von einem wahnsinnigen General initiierter Atomkrieg zwischen Amerika und Russland nicht aufgehalten werden kann – in einem ikonischen Bild reitet am Ende ein Bomberpilot auf einer phallusartigen Atomrakete jauchzend auf sein Ziel zu. Tatsächlich war die Welt im Oktober 1962 nur knapp einer solchen Vernichtung entgangen, nachdem in der Kubakrise das Wettrüsten zwischen Amerika und Russland zu einer gefährlichen Konfrontation geführt hatte.
In den Achtzigern erhitzte sich der Kalte Krieg erneut, unter anderem durch den NATO-Doppelbeschluss vom Dezember 1979, der die Stationierung neuer Atomraketen in Westeuropa zur Abschreckung vorsah. In ihrem Aufsatz „Sieg ist möglich“argumentierten die Pentagon-Berater Colin S. Gray und Keith Payne nur ein Jahr später, dass ein Nuklearkrieg gewonnen werden könnte und eine „intelligente US-Angriffsstrategie“die „amerikanischen Verluste auf ungefähr 20 Millionen reduzieren könnte“. Und so fand die Angst vor einem Ost-WestKrieg und einer nuklearen Auseinandersetzung auch wieder ihren Weg ins Kino und ins Fernsehen: In „Octopussy“brachte James Bond einen größenwahnsinnigen russischen General zur Strecke, der in Westdeutschland eine Atombombe zünden wollte, und der TV-Zweiteiler „Weltkrieg 3“erzählte von einer sowjetischen Invasion in Alaska. Sogar im vierten „Rocky“-Film musste Sylvester Stallone gegen eine russische Kampfmaschine in den Ring steigen.
Besonders drastisch behandelte der von Nicholas Meyer inszenierte Fernsehfilm
„The Day After – Der Tag danach“den drohenden atomaren Schlagabtausch: Er zeichnete die triste, verzweifelte Welt einer Gruppe Menschen, die nach einem Nuklearkrieg in den Trümmern der Zivilisation ums Überleben kämpfen. „Ich war der vierte Regisseur, dem man das Skript anbot, und ich konnte sehen, warum die anderen abgesagt hatten“, erinnerte sich Meyer in seinen Memoiren an die Entstehung des Films. „Das große und schlimme Paradoxon des atomaren Problems ist, dass, obwohl es das absolut wichtigste Dilemma ist (neuerdings verbunden mit der Klimaerwärmung), dem sich die Menschheit gegenübersieht, es gleichzeitig so schrecklich ist, dass niemand, der bei Sinnen ist, es aushält, darüber nachzudenken.“
Meyers Film ist ein trostloser Albtraum, bei dem man versteht, warum ein Spektakel wie „Die rote Flut“mit solch absurdem Eskapismus daherkommt. Das Interesse an der Schreckensvision war jedenfalls gigantisch: Über 100 Millionen Menschen sahen die Erstausstrahlung. „Es war kein sehr guter Film; das war gewissermaßen der Punkt“, führte Meyer aus. „Ich wusste, wenn die Leute über den Film diskutieren anstatt darüber, worum es in dem Film ging, hätten wir versagt.“Direkt nach der Sendung erklärte Staatssekretär George Shultz im Fernsehen, wie sehr „The Day After“mit seiner Vision danebenlag – aber Präsident Ronald Reagan beschrieb später in seiner Autobiografie, dass der Film seine Haltung in Bezug auf das Thema geändert habe.
Weitaus leichter und unterhaltsamer, aber nicht weniger eindringlich zeichnete John Badhams Film „WarGames – Kriegsspiele“das Szenario der potenziellen Vernichtung. Hier gelangt ein junger Hacker versehentlich in einen Regierungscomputer und startet die dort installierte Simulation „Globaler thermonuklearer Krieg“– und während die künstliche Intelligenz die Szenarien des Kriegsspiels durchrechnet, hält das amerikanische Militär diese Bilder für echt und bereitet einen Gegenschlag als Antwort auf den vermeintlichen russischen Angriff vor.
Die Offiziere des Luftverteidigungskommandos NORAD erklärten schnell, dass so etwas in Wirklichkeit niemals geschehen könne – aber schon 1980 hatte ein Fehlalarm eines Computers die Generäle in höchste Alarmbereitschaft versetzt, weil sie für einige Minuten glauben mussten, dass Hunderte von russischen Raketen unterwegs seien. Und 1983, nur wenige Monate nach der Premiere von „WarGames“, gab es einen ähnlichen Vorfall auf sowjetischer Seite, der vor allem deshalb nicht zum nuklearen Vergeltungsschlag führte, weil der Offizier Stanislaw Petrow einen Fehler vermutete und daher zunächst abwartete, bevor er seine Vorgesetzten informierte.
Die wichtigste Botschaft aus „WarGames“stammt trotzdem aus einem Computer: Nachdem die Maschine unzählige Strategien eines nuklearen Kriegs durchgerechnet hat, kommt die künstliche Intelligenz zu einem kuriosen Ergebnis.
„Ein merkwürdiges Spiel“, spricht das Programm seinen Schöpfer an. „Der einzige Weg, es zu gewinnen, ist, nicht zu spielen.“Es ist eine Erkenntnis, die fast 40 Jahre später immer noch gelernt werden will.